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Der Graf von Monte Christo 2

Der Graf von Monte Christo 2

Titel: Der Graf von Monte Christo 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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genug …! Ich hatte Religion, Unschuld, Liebe, dieses dreifache Glück, und ich Elende habe an Gott gezweifelt!«
    Monte Christo trat ihr einen Schritt näher und reichte ihr schweigend die Hand.
    »Nein«, sagte sie, indem sie die ihre sanft zurückzog, »nein, mein Freund, rühren Sie mich nicht an. Sie haben mich geschont, und doch war ich von allen denen, die Sie getroff en haben, die Schul-digste. Alle andern haben aus Haß, Habgier, Selbstsucht gehandelt; ich habe aus Feigheit gehandelt. Jene hatten Begierden, ich habe Furcht gehabt. Nein, drücken Sie meine Hand nicht, Edmund, Sie suchen nach einem liebevollen Wort, ich fühle es, sprechen Sie es nicht aus; behalten Sie es für eine andre, ich bin es nicht mehr wert.
    Sehen Sie«, fuhr sie fort, indem sie ihr Gesicht vollständig enthüll-te, »das Unglück hat mein Haar grau gemacht; meine Augen haben so viele Tränen vergossen, daß sie von blauen Adern umgeben sind; meine Stirn trägt Falten. Sie dagegen, Edmund, sind immer noch jung, immer noch schön und stolz, und das, weil Sie Glauben hatten, weil Sie Kraft hatten, weil Sie auf Gott bauten und Gott Ihnen half. Ich bin feige gewesen, bin abgefallen; Gott hat mich verlassen, und nun bin ich so weit gekommen.«
    Mercedes traten Tränen aus den Augen; das Herz der Frau brach bei dem Ansturm der Erinnerungen.
    Monte Christo nahm ihre Hand und küßte sie ehrerbietig; aber sie fühlte, daß dieser Kuß ohne Inbrunst war, als ob er die Statue einer Heiligen geküßt hätte.
    »Es gibt«, fuhr sie fort, »vom Schicksal bestimmte Menschen, deren ganze Zukunft durch einen ersten Fehltritt vernichtet wird. Ich hielt Sie für tot und hätte sterben müssen; denn was hat es genützt, daß ich im Herzen ewig um Sie getrauert habe? Ich bin dadurch nur vor der Zeit eine alte Frau geworden. Was hat es genützt, daß ich, die ich als einzige von allen Sie erkannt hatte, nur das Leben meines Sohnes gerettet habe? Hätte ich nicht auch den Mann retten müssen, so schuldig er auch war, den ich zum Gatten genommen hatte?
    Dennoch habe ich ihn sterben lassen – was sage ich, mein Gott! –, ich habe durch meine Gefühllosigkeit zu seinem Tod beigetragen, durch meine Verachtung, indem ich mich nicht mehr erinnerte, nicht mehr erinnern wollte, daß er für mich zum Wortbrüchigen und Verräter geworden war! Was nützt es wiederum, daß ich meinen Sohn bis hierher begleitet habe, da ich ihn doch verlasse, ihn allein abreisen lasse, ihn diesem todbringenden Land Afrika über-liefere? Oh, ich bin feige gewesen, sag ich Ihnen; ich bin von meiner Liebe abgefallen und bringe wie die Abgefallenen allem, was mich umgibt, Unglück!«
    »Nein, Mercedes, nein«, sagte Monte Christo; »fassen Sie wieder eine bessere Meinung von sich selbst. Nein, Sie sind ein edles und frommes Weib, und Sie hatten mich durch Ihren Schmerz entwaff net; aber hinter mir stand unsichtbar und unbekannt der zor-nige Gott, dessen Vollstrecker ich nur war und der den Blitzstrahl nicht hat zurückhalten wollen, den ich geschleudert hatte. Oh, ich rufe diesen Gott, zu dessen Füßen ich mich seit zehn Jahren jeden Tag niederwerfe, zum Zeugen an, daß ich Ihnen mein Leben zum Opfer bringen wollte, und mit meinem Leben meine Pläne.
    Prüfen Sie die Vergangenheit und die Gegenwart, suchen Sie in die Zukunft zu blicken und urteilen Sie, ob ich nicht das Werkzeug des Herrn bin. Das entsetzlichste Unglück, das grausamste Leiden, das Verlassenwerden von allen, die mich liebten, die Verfolgung durch die, die mich nicht kannten, das war der erste Teil meines Lebens; dann nach der Gefangenschaft, der Einsamkeit, dem Elend plötzlich Luft und Freiheit und ein so glänzendes, so fabelhaftes, so un-ermeßliches Vermögen, daß ich, wenn ich nicht blind sein wollte, mir sagen mußte, daß Gott es mir zu großen Zwecken gesandt habe.
    Seitdem schien mir ein Priesteramt zuteil geworden zu sein; seitdem gehörte kein Gedanke in mir mehr diesem Leben, dessen Süße, Sie Arme, Sie manchmal gekostet haben; ich hatte keine Stunde der Ruhe, ich fühlte mich vorwärts getrieben wie eine Feuerwolke, die dahinfährt, um die verfl uchten Städte zu vernichten. Wie jene wa-gemutigen Kapitäne, die sich zu einer gefahrvollen Reise einschif-fen, sorgte ich für Lebensmittel, lud ich die Waff en, bereitete ich Angriff s- und Verteidigungsmittel vor, gewöhnte meinen Körper an die größten Anstrengungen, meine Seele an die erschütterndsten Eindrücke, übte meinen Arm zu töten, meine

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