Der Graf von Monte Christo 2
Major.
Und die beiden Männer umarmten sich.
»Lieber Vater«, sagte Andrea, »wollen Sie mir nicht die Papiere geben, aus denen ich meine Herkunft ersehen kann?«
»Gewiß, hier sind sie.«
Andrea ergriff begierig die Heiratsurkunde seines Vaters und seinen Taufschein und las sie rasch durch.
Als er fertig war, sah er den Major mit einem sonderbaren Lächeln an.
»Oh«, sagte er in ausgezeichnetem Toskanisch, »gibt es denn keine Galeeren in Italien?«
Der Major richtete sich auf.
»Weshalb?« sagte er.
»Weil man derartige Papiere anscheinend strafl os fabrizieren kann.
In Frankreich würden Sie dafür fünf Jahre bekommen.«
»Was meinen Sie?« fragte der Major.
»Mein lieber Herr Cavalcanti«, sagte Andrea, während er den Arm des Majors drückte, »wieviel gibt man Ihnen, damit Sie mein Vater sind und Stillschweigen bewahren?«
Der Major wollte sprechen.
»Pst«, sagte Andrea leise, »ich will Ihnen mit gutem Beispiel vor-angehen und off en sprechen; man gibt mir fünfzigtausend Franken jährlich, um Ihr Sohn zu sein. Sie verstehen also, daß ich Sie nicht als Vater verleugnen werde.«
»Nun«, sagte der Major, »man zahlt mir eine einmalige Summe von fünfzigtausend Franken.«
»Herr Cavalcanti«, sagte Andrea, »glauben Sie, daß ich den Versprechungen, die man mir gemacht hat, trauen kann?«
»Ich glaube es. Aber wir müssen unsere Rollen gut spielen. Ich als zärtlicher Vater.«
»Und ich als respektvoller Sohn. Haben Sie nicht einen Brief erhalten?«
»Ja, von einem gewissen Abbé Busoni, den ich nie gesehen habe.«
»Und was stand in diesem Brief?«
Der Major gab dem jungen Mann den Brief.
»Lesen Sie.«
Andrea las halblaut:
»Sie sind arm, ein elendes Alter steht Ihnen bevor. Wollen Sie, wenn nicht reich, so doch wenigstens unabhängig werden? Reisen Sie sofort nach Paris, begeben Sie sich zu dem Grafen von Monte Christo, Avenue des Champs-Elysées Nr. , und fragen Sie dort nach dem Sohn, den Sie von der Marquise von Corsinari gehabt haben und der im Alter von fünf Jahren entführt worden ist. Er heißt Andrea Cavalcanti. Damit Sie die freundlichen Absichten des Unterzeichneten nicht bezweifeln, fi nden Sie inliegend: erstens einen Wechsel von zweitausendvierhun-dert toskanischen Livres, zahlbar bei Herrn Gozzi in Florenz, zweitens ein Empfehlungsschreiben an den Grafen von Monte Christo, bei dem ich Ihnen einen Kredit von achtundvierzigtausend Franken eröff ne.
Finden Sie sich am sechsundzwanzigsten Mai, um sieben Uhr abends, bei dem Grafen ein.
Gezeichnet Abbé Busoni.«
»Das stimmt.«
»Wieso, das stimmt? Was wollen Sie sagen?« fragte der Major.
»Ich sage, daß ich fast denselben Brief erhalten habe.«
»Vom Abbé Busoni?«
»Nein, von einem Engländer, einem gewissen Lord Wilmore, der sich den Namen Sindbad der Seefahrer beigelegt hat.«
»Und den Sie ebensowenig kennen wie ich den Abbé Busoni?«
»Ich habe ihn ein einziges Mal gesehen.«
»Wo?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen; Sie würden dann ebensoviel wissen wie ich, und das ist nicht nötig.«
»Und in dem Brief stand?«
»Lesen Sie.«
Der Major nahm den dargereichten Brief und las:
»Sie sind arm, eine elende Zukunft steht Ihnen bevor. Wollen Sie einen Namen haben, frei und reich sein? Besteigen Sie den Postwagen, den Sie vor dem Genueser Tor in Nizza fi nden werden. Nehmen Sie den Weg über Turin, Chambéry und Pont-de-Beauvoisin. Seien Sie am sechsundzwanzigsten Mai, um sieben Uhr abends, beim Grafen von Monte Christo, Avenue des Champs-Elysées in Paris, und fragen Sie nach Ihrem Vater. Sie sind der Sohn des Marquis Bartolomeo Cavalcanti und der Marquise Oliva Corsinari, wie aus den Papieren hervorgehen wird, die Ihnen der Marquis einhändigen wird und die es Ihnen ermöglichen werden, unter diesem Namen in der Pariser Gesellschaft zu leben. Ein Einkommen von fünfzigtausend Franken jährlich wird Sie instand setzen, Ihrem Rang entsprechend aufzutreten. Diesem Briefe sind beigefügt ein Wechsel von fünftausend Franken, zahlbar bei Herrn Ferrea, Bankier in Nizza, und ein Empfehlungsschreiben an den Grafen von Monte Christo, der von mir beauftragt ist, für Sie zu sorgen.
Sindbad der Seefahrer.«
»Verstehn Sie etwas von der ganzen Sache?« fragte der Major nach beendeter Lektüre.
»Wahrhaftig, nein.«
»Es wird wohl jemandem ein Streich gespielt werden.«
»Auf jeden Fall sind weder Sie noch ich dieser Jemand, und dann kann es uns ja egal sein, nicht wahr? Also spielen wir unsre
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