Der Graf von Monte Christo 2
zum Ersticken, und fragte, warum man nicht die Jalousien geöff net habe.«
»In der Tat«, sagte die Gräfi n, »das ist ein Mittel, um mich zu ver-gewissern, ob diese Enthaltsamkeit Absicht ist.«
Sie verließ den Saal, und einen Augenblick darauf wurden die Jalousien geöff net, und man konnte durch die Blumen hindurch, die die Fenster schmückten, den Garten sehen, der mit Laternen be-hängt war und wo unter einem Zelt das Souper serviert war. Tänzer und Tänzerinnen, Spieler und Plaudernde stießen einen Freuden-schrei aus; alle atmeten voll Entzücken die hereinströmende Luft.
In demselben Augenblick erschien Mercedes wieder, bleicher als vorher, aber mit jener Festigkeit im Gesicht, die ihr unter gewissen Umständen eigen war. Sie ging direkt auf die Gruppe zu, in der sich ihr Mann befand.
»Halten Sie doch die Herren hier nicht fest«, sagte sie; »sie werden, wenn sie nicht spielen, lieber in den Garten gehen als hier ersticken.«
»Ah, gnädige Frau«, sagte ein alter galanter General, »wir werden nicht allein in den Garten gehen.«
»Gut, so werde ich das Beispiel geben.« Damit wandte sie sich zu Monte Christo. »Herr Graf«, sagte sie, »darf ich Sie um Ihren Arm bitten?«
Der Graf taumelte fast bei diesen einfachen Worten; dann sah er Mercedes einen Augenblick an. Dieser Augenblick hatte die Schnelligkeit eines Blitzes, und doch schien er der Gräfi n ein Jahrhundert zu dauern, so viele Gedanken hatte Monte Christo in diesen einen Blick gelegt.
Er bot ihr seinen Arm; sie berührte ihn leicht mit ihrer kleinen Hand, und beide gingen die Freitreppe hinunter. Hinter ihnen eilten zwanzig Gäste mit lauten Rufen der Freude in den Garten.
Frau von Morcerf trat mit ihrem Begleiter unter das Blätterdach einer Lindenallee, die zu einem Treibhaus führte.
»Es war zu warm im Saal, nicht wahr, Herr Graf?« sagte sie.
»Ja, gnädige Frau, und es war ein vortreffl icher Gedanke von Ihnen, die Türen und Jalousien öff nen zu lassen.«
Der Graf merkte, daß Mercedes’ Hand zitterte.
»Aber Sie in Ihrem leichten Kleid und mit diesem leichten Tuch um den Hals werden vielleicht frieren?« fragte er.
»Wissen Sie, wohin ich Sie führe?« fragte die Gräfi n zurück, ohne seine Frage zu beantworten.
»Nein, gnädige Frau«, antwortete er; »aber Sie sehen, ich leiste keinen Widerstand.«
»Nach dem Treibhaus dort, am Ende der Allee.«
Der Graf sah Mercedes fragend an; aber sie ging weiter, ohne etwas zu sagen, und auch er blieb stumm.
Sie kamen in dem Treibhaus an, das voll war von reifen Früchten.
Die Gräfi n ließ den Arm Monte Christos los und pfl ückte von einem Muskatweinstock eine Traube ab.
»Hier, Herr Graf«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln, während ihr Tränen in die Augen traten; »hier unsre französischen Trauben kommen ja Ihren sizilianischen und zyprischen nicht gleich, aber Sie müssen Nachsicht mit unsrer armen Sonne des Nordens haben.«
Der Graf verneigte sich und trat einen Schritt zurück.
»Sie schlagen es mir ab?« fragte Mercedes mit bebender Stimme.
»Gnädige Frau«, entgegnete der Graf, »ich bitte Sie demütigst, mich zu entschuldigen, aber ich esse nie Muskatwein.«
Mercedes ließ seufzend die Traube fallen. Ein prachtvoller Pfi rsich hing an einem benachbarten Spalier; Mercedes ging hin und pfl ück-te die Frucht.
»Nehmen Sie dann diesen Pfi rsich«, sagte sie.
Aber der Graf machte dieselbe ablehnende Bewegung.
»Oh, wiederum!« sagte sie in so schmerzlichem Ton, daß man heraushörte, daß sie ein Schluchzen unterdrückte. »Wirklich, ich habe Unglück.«
Ein langes Schweigen folgte; der Pfi rsich war gleich der Traube in den Sand gefallen.
»Herr Graf«, nahm Mercedes endlich wieder das Wort, indem sie Monte Christo bittend ansah, »es gibt eine rührende arabische Sitte, die diejenigen auf ewig zu Freunden macht, die unter einem Dach Brot und Salz geteilt haben.«
»Ich kenne diese Sitte, gnädige Frau«, antwortete der Graf; »aber wir sind in Frankreich und nicht in Arabien, und in Frankreich gibt es ebensowenig ewige Freundschaften als die Sitte, Salz und Brot zu teilen.«
»Aber wir sind doch Freunde, nicht wahr?« fragte die Gräfi n, während sie Monte Christo in die Augen sah und seinen Arm krampfhaft ergriff .
Das Blut fl oß dem Grafen zum Herzen, er wurde bleich wie der Tod, dann stieg es vom Herzen zurück in die Wangen, und seine Augen blickten einen Augenblick, als ob sie geblendet wären.
»Gewiß sind wir Freunde, gnädige
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