Der Graf von Monte Christo 2
rate?«
»Ja.«
»Sie wollten fragen, ob der Graf von Monte Christo schon gekommen ist oder komme.«
»Durchaus nicht«, antwortete Frau von Villefort. »Ich wollte Sie fragen, ob Sie Nachrichten von Herrn Franz erhalten hätten.«
»Ja, gestern.«
»Was schreibt er?«
»Daß er zugleich mit seinem Brief abreise.«
»Gut. Und jetzt der Graf?«
»Der Graf kommt, seien Sie unbesorgt.«
»Wissen Sie, daß er einen andern Namen hat als Monte Christo?«
sagte Frau von Villefort.
»Nein, das wußte ich nicht.«
»Monte Christo ist ein Inselname, und er hat einen Familiennamen.«
»Den habe ich nie gehört.«
»Dann weiß ich also mehr als Sie; er heißt Zaccone.«
»Das ist möglich.«
»Er ist ein Malteser.«
»Auch das ist möglich.«
»Der Sohn eines Reeders.«
»Oh, aber diese Dinge müßten Sie wirklich laut erzählen, Sie würden den größten Erfolg haben.«
»Er hat in Indien gedient, besitzt ein Silberbergwerk in Th essalien
und kommt hierher, um in Auteuil eine Mineralwasseranstalt oder ein Bad zu gründen.«
»Ei, da haben wir ja recht famose Nachrichten. Ich darf sie doch weitererzählen?«
»Ja, aber erst nach und nach, ohne zu sagen, daß sie von mir stam-men.«
»Warum?«
»Weil es fast ein erlauschtes Geheimnis ist. Es wurde gestern abend beim Präfekten erzählt. Man staunte in Paris über diesen ungewohnten Luxus, und die Polizei hat Nachforschungen angestellt.«
»Na, es fehlte nur noch, daß der Graf als Vagabund festgenommen würde unter dem Vorwand, daß er zu reich sei.«
»Nun, das hätte ihm auch ganz gut passieren können, wenn die Auskunft nicht so günstig gewesen wäre.«
»Der arme Graf, und ahnt er die Gefahr, die er lief?«
»Ich glaube nicht.«
»Dann ist es Christenpfl icht, ihn davon zu unterrichten, was ich tun werde, sobald er kommt.«
Herr von Villefort hatte tatsächlich einem gewissen Herrn von Boville, einem höheren Beamten der Sicherheitspolizei, der frü-
her Inspektor der Gefängnisse gewesen war, geschrieben und um Auskunft über den Grafen von Monte Christo gebeten. Nach zwei Tagen hatte er folgende Antwort erhalten:
»Der Betreff ende, der sich Monte Christo nennt, ist ein Bekannter des Lord Wilmore, eines reichen Fremden, den man manchmal in Paris sieht und der sich auch gegenwärtig hier aufhält; er ist gleichfalls ein Bekannter des Abbé Busoni, eines sizilianischen Priesters von großem Ruf im Orient, wo er viele gute Werke getan hat.«
Herr von Villefort hatte dann von diesen beiden persönlich Erkundigungen über den Grafen eingezogen. Er ahnte nicht, daß er es beide Male mit dem Grafen selbst zu tun gehabt hatte.
Während Albert und Frau von Villefort miteinander sprachen, trat ein schöner junger Mann mit lebhaften Augen, schwarzem Haar und Schnurrbart an die beiden heran und grüßte Frau von Villefort ehrerbietig. Albert reichte ihm die Hand.
»Gnädige Frau«, sagte Albert, »ich habe die Ehre, Ihnen Herrn Maximilian Morrel, Kapitän der Spahis, einen unsrer tapfren Offi -
ziere, vorzustellen.«
»Ich habe schon das Vergnügen gehabt, den Herrn in Auteuil beim Grafen von Monte Christo zu treff en«, entgegnete Frau von Villefort mit absichtlicher Kälte, indem sie sich abwandte.
Diese Antwort und besonders der Ton, in dem sie gegeben wurde, preßten dem armen Morrel das Herz zusammen; es war ihm aber eine Entschädigung vorbehalten, denn als er sich umwandte, sah er in dem Winkel der Tür ein schönes blasses Mädchen, dessen Augen auf ihn gerichtet waren, während sie ihren Blumenstrauß langsam an den Mund führte.
Dieser Gruß wurde so gut verstanden, daß Morrel seinerseits sein Taschentuch an den Mund führte; und die beiden vergaßen einen Augenblick die Welt in diesem stummen Betrachten.
Sie hätten länger so ineinander verloren bleiben können, ohne daß jemand es bemerkt hätte; denn der Graf von Monte Christo war soeben eingetreten.
Überall, wo sich der Graf zeigte, erregte er Interesse. Die matte Gesichtsfarbe, das schwarze wellige Haar, das ruhige und reine Gesicht, das tiefe, melancholische Auge und endlich der Mund von wunderbarer Feinheit der Zeichnung, der so leicht den Ausdruck stolzer Verachtung annahm, alles das zog die Aufmerksamkeit auf sich.
Es konnte schönere Männer geben, aber es gab gewiß keine von ausdrucksvollerem Aussehen. Vielleicht aber hätte die Pariser Gesellschaft diesem allem keine Beachtung geschenkt, wenn nicht dabei eine geheimnisvolle, von einem ungeheuren Vermögen vergoldete
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