Der Graf von Monte Christo 2
eintreten sah, glänzte sein Auge.
Im Gang und in der Haltung des Mädchens lag etwas, was dem stummen, gelähmten Greis auffi el; seine Augen fragten, was es gäbe.
»Lieber Großpapa«, sagte sie, »hör mich an; du weißt, daß die gute Großmama Saint-Méran vor einer Stunde gestorben ist und daß ich jetzt außer dir niemand mehr habe, der mich liebt.«
Die Augen des Greises drückten unendliche Zärtlichkeit aus.
»Ich muß also dir allein meinen Kummer oder meine Hoff nungen anvertrauen, nicht wahr?«
Der Gelähmte machte das Zeichen der Bejahung; Valentine nahm Maximilian bei der Hand. Der Greis richtete sein Auge forschend und etwas verwundert auf Morrel.
»Dies ist Herr Maximilian Morrel«, sagte sie, »der Sohn des braven Kaufmanns aus Marseille, von dem du jedenfalls gehört hast?«
Der Greis bejahte.
»Es ist ein ehrlicher Name, den Maximilian mit Ruhm bedecken wird, denn er ist mit dreißig Jahren Hauptmann und Offi zier der Ehrenlegion.«
Der Greis bekundete durch ein Zeichen, daß er sich erinnere.
»Nun wohl, lieber Großpapa«, sagte Valentine, indem sie vor dem Greis niederkniete und auf Maximilian zeigte, »ich liebe ihn und werde nur ihm angehören. Wenn man mich zwingt, einen andern zu heiraten, werde ich eher sterben.«
Die Augen des Gelähmten drückten eine Welt voll unruhiger Gedanken aus.
»Du hast Herrn Morrel gern, nicht wahr, Großpapa?« fragte das junge Mädchen.
»Ja«, sagte der Greis mit den Augen.
»Und du kannst uns, die wir auch deine Kinder sind, gegen den Willen meines Vaters schützen?«
Noirtier heftete seinen Blick auf Morrel, als ob er sagen wollte: Das kommt darauf an.
Maximilian verstand ihn. »Valentine«, sagte er, »du hast eine heilige Pfl icht in dem Zimmer deiner Großmutter zu erfüllen. Erlaubst du, daß ich einen Augenblick mit Herrn Noirtier spreche?«
»Ja, ja«, machte der Greis mit den Augen, dann sah er Valentine unruhig an.
»Wie er dich verstehen soll, Großpapa, willst du sagen?«
»Ja.«
»Oh, sei ruhig; wir haben so oft von dir gesprochen, daß er weiß, wie ich mich mit dir verständige«, antwortete Valentine.
Valentine stand auf, schob für Morrel einen Stuhl heran, befahl dem Diener, niemand einzulassen, küßte ihren Großvater zärtlich, sagte Morrel traurig Lebewohl und ging.
Um Herrn Noirtier zu beweisen, daß er Valentines Vertrauen be-saß und alle ihre Geheimnisse kannte, nahm Morrel das Wörterbuch, Feder und Papier und legte alles auf den Tisch, wo die Lampe stand.
»Zuerst gestatten Sie mir«, sagte er, »Ihnen zu erzählen, wer ich bin, wie meine Liebe zu Valentine entstanden ist und welches meine Absichten sind.«
»Ich höre«, lautete die Zeichensprache Noirtiers.
Morrel erzählte, wie er Valentine kennen und lieben gelernt und wie sie in ihrer Verlassenheit und in ihrem Unglück die ihr angebotene Liebe angenommen hatte; er schilderte seine Herkunft, seine Stellung, seine Vermögensverhältnisse und dann ihren Plan, Valentine zu seiner Schwester zu bringen, sie zu heiraten und die Verzeihung ihres Vaters abzuwarten.
Noirtier, der mehrere Male Zeichen der Zustimmung gegeben hatte, machte hier das Zeichen der Verneinung.
»Hat dieser Plan nicht Ihre Zustimmung?« fragte Morrel.
»Nein.«
»Dann gibt es ein andres Mittel«, sagte Morrel. »Ich werde zu Herrn Franz von Epinay gehen und ihm mitteilen, welche Bande mich mit Fräulein Valentine vereinigen; ist er ein Mann von Gefühl, so wird er von selbst auf ihre Hand verzichten, und meine Freundschaft wird ihm auf ewig gehören; schlägt er es aus selbstsüchtigem Interesse oder lächerlichem Stolz ab, obgleich ich ihm gesagt habe, daß Valentine mich liebt und keinen andern lieben kann, so werde ich mich mit ihm schlagen und ihm dabei alle Vorteile geben.
Entweder töte ich ihn, oder er tötet mich; im ersten Fall wird er Valentine nicht heiraten, und im andern bin ich sicher, daß Valentine ihn nicht heiratet.«
Noirtier betrachtete mit Vergnügen dieses edle und aufrichtige Gesicht, auf dem sich alles, was der junge Mann sagte, widerspie-gelte. Als Morrel geendet hatte, schloß er jedoch mehreremal die Augen, was für ihn das Zeichen der Verneinung war.
»Sie mißbilligen auch diesen Plan?« fragte Morrel.
Der Greis bejahte.
»Aber was soll ich denn tun?« fragte Morrel. »Der letzte Wunsch der Frau von Saint-Méran war, die Heirat ihrer Enkelin nicht hin-auszuschieben; soll ich denn ruhig zusehen?«
Noirtier blieb unbeweglich.
»Ich verstehe«,
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