Der Graf von Monte Christo
im Pistolenschießen zu üben. Das Duell widerstrebt mir, wie Sie wissen, seitdem zwei Zeugen, die ich gewählt, um eine Sache beizulegen, mich zwangen, einem meiner besten Freunde den Arm zu zerschmettern ... oh! bei Gott, dem armen Franz d'Epinay, den ihr alle kennt.
Ah! ja, es ist wahr, ihr habt euch geschlagen, sagte Debray. Aus welcher Veranlassung?
Der Teufel soll mich holen, wenn ich mich dessen erinnere, erwiderte Chateau-Renaud; ich weiß nur noch, daß ich mich schämte, ein Talent wie das meinige ruhen zu lassen, und daß ich an den Arabern die Pistolen versuchen wollte, die ich zum Geschenke bekommen habe. Demzufolge schiffte ich mich nach Oran ein und begab mich nach Constantine, wo ich gerade ankam, als die Belagerung aufgehoben wurde. Ich zog mich daher zurück wie die andern. 48 Stunden lang ertrug ich den Regen bei Tage, den Schnee bei Nacht, am dritten Morgen endlich starb mein Pferd vor Kälte. Armes Tier! Als es tot war, mußte ich zu Fuß zurückgehen. Da sprengten sechs Araber im Galopp herbei, mir den Kopf abzuhauen. Ich schoß zwei mit der Flinte, zwei mit meinen Pistolen nieder; aber es blieben noch zwei übrig, und ich hatte keine Waffe mehr. Der eine nahm mich bei den Haaren, weshalb ich sie jetzt kurz trage, denn man kann nicht wissen, was wieder geschieht; der andere zielte mit seinem Yatagan nach meinem Halse, und ich fühlte bereits das kalte Eisen, als dieser Herr, den Sie hier sehen, ebenfalls auf sie eindrang, den, welcher mich bei den Haaren hielt, mit einem Pistolenschuß niederstreckte und dem andern, der mir mit einem Säbelhieb den Hals abschlagen wollte, den Schädel spaltete. Der Herr hatte sich die Aufgabe gestellt, an diesem Tage einen Menschen zu retten, der Zufall wollte, daß ich dies war; wenn ich einmal reich bin, lasse ich dem Zufall eine Statue errichten.
Ja, sagte Morel lächelnd, es war am 5. September, am Jahrestage einer wunderbaren Rettung meines Vaters, ich feiere daher auch, soviel in meinen Kräften liegt, diesen Tag jedes Jahr durch irgend eine Handlung.
Durch eine heldenmütige, nicht wahr? unterbrach ihn Chateau-Renaud; kurz ich war der Auserwählte, doch das ist noch nicht alles. Nachdem er mich vom Eisen errettet, rettete er mich vor der Kälte, indem er mir seinen Mantel gab; dann schützte er mich vor dem Hunger dadurch, daß er sein kostbares Pferd, von dem wir, vom Hunger getrieben, jeder ein Stück mit großem Appetit verzehrten, mit mir teilte.
Ich ahnte, Sie würden mein Freund werden, Herr Graf, sagte Morel; überdies habe ich bereits die Ehre gehabt, Ihnen zu bemerken, daß ich an diesem Tage dem Schicksal eine Gabe als Wiedervergeltung für die Gunst schuldig bin, die uns einst zu teil geworden ist.
Die Geschichte, auf die Herr Morel anspielt, fuhr Chateau-Renaud fort, ist eine ganz bewunderungswürdige Geschichte, die er Ihnen eines Tages erzählen wird, wenn Sie nähere Bekanntschaft mit ihm gemacht haben; für heute wollen wir den Magen und nicht das Gedächtnis stärken. Um wieviel Uhr frühstücken Sie, Albert?
Um halb elf Uhr.
Auf den Punkt? fragte Debray, seine Uhr ziehend.
Ah! Sie werden mir doch die fünf Wartminuten gewähren, erwiderte Morcerf, denn ich erwarte ebenfalls einen Retter.
Einen Retter wessen?
Von mir, bei Gott! antwortete Morcerf. Glauben Sie, man könne mich nicht auch retten, wie einen andern, und nur die Araber schlagen Köpfe ab? Unser Frühstück ist ein philanthropisches Frühstück, und wir werden, wenigstens hoffe ich es, zwei Wohltäter der Menschheit bei Tische haben.
Und woher kommt er? fragte Debray.
Das weiß ich nicht, erwiderte Albert. Als ich ihn vor drei Monaten einlud, war er in Rom; doch wer kann sagen, welchen Weg er seitdem gemacht hat?
Glauben Sie, daß er Pünktlichkeit besitzt? fragte Debray.
Ich glaube, daß er alle guten Eigenschaften besitzt.
Passen Sie ja auf! Mit Ihren fünf Wartminuten sind's noch zehn.
Ich werde sie benutzen, um Ihnen ein Wort von meinem interessanten Gaste zu sagen. Ich war während des letzten Karnevals in Rom und wurde von Räubern entführt.
Es gibt keine Räuber, sagte Debray.
Allerdings gibt es welche und zwar abscheuliche, das heißt liebenswürdige, denn ich habe sie zum Fürchten zu schön gefunden. Die Räuber hatten mich also entführt und an einen jammervollen Ort gebracht, den man die Katakomben von San Sebastiano nennt. Man kündigte mir an, ich sei Gefangener gegen Lösegeld für erbärmliche 4000 römische Taler. Zum Unglück besaß ich
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