Der Graf von Monte Christo
obern Zimmer den Juwelier alle Vorkehrungen treffen, um die Nacht so behaglich als möglich zuzubringen. Bald bemerkte ich an dem Krachen seines Bettes, daß er sich niedergelegt hatte.
Ich fühlte, wie sich meine Augen unwillkürlich schlossen, und da ich keinen Verdacht geschöpft hatte, so suchte ich nicht gegen den Schlaf zu kämpfen und warf nur noch einen Blick in das Innere. Caderousse saß an einem langen Tische auf einer von den hölzernen Bänken, die in den Dorfwirtshäusern die Stühle ersetzen; er wandte mir den Rücken zu und hielt seinen Kopf auf beide Hände gestützt.
Die Carconte schaute ihn eine Zeit lang an, zuckte die Achseln und setzte sich ihm gegenüber. In diesem Augenblick flackerte die Flamme zufällig auf, und ein etwas hellerer Schimmer erleuchtete die düstere Stube. Die Carconte schaute ihren Mann starr an, und da dieser stets in derselben Stellung verharrte, sah ich sie ihre gekrümmte Hand nach ihm ausstrecken und seine Stirn berühren.
Caderousse bebte. Es kam mir vor, als spräche sie ganz leise zu ihm, doch der Schall ihrer Worte gelangte nicht bis zu mir. Ich sah nur noch wie durch einen Nebel und halb traumbefangen. Endlich schlossen sich meine Augen, und ich verlor das Bewußtsein.
Ich lag im tiefsten Schlafe, als ich durch einen Pistolenschuß erweckt wurde, auf den ein furchtbarer Schrei folgte. Es erschollen ein paar wankende Tritte auf dem Boden der Stube, und eine träge Masse stürzte auf der Treppe, gerade über meinem Haupte, nieder.
Ich war noch nicht ganz meiner Herr. Ich vernahm Seufzer und dann halb erstickte Schreie, wie von einem Kampf. Ein letzter Schrei, der länger anhielt, als die andern, und sich endlich in ein Stöhnen verwandelte, entriß mich völlig meiner Erstarrung.
Ich erhob mich, öffnete die Augen, die in der Finsternis nichts sahen, und fuhr mit der Hand nach der Stirn, auf die, wie es mir vorkam, durch die Bretter der Treppe ein lauer Regen floß.
Das tiefste Schweigen war auf den furchtbaren Lärm gefolgt. Ich hörte sodann die Tritte eines Menschen über meinem Kopfe und auf der Treppe; dieser Mensch stieg in die untere Stube herab und zündete eine Kerze an. Ich erkannte Caderousse, sein Gesicht war bleich, und sein Hemd ganz mit Blut überzogen. Als das Licht angezündet war, stieg er rasch wieder die Treppe hinauf, und ich hörte von neuem seine raschen, unruhigen Tritte.
Einen Augenblick nachher kam er wieder herab; er hielt das Futteral in der Hand, wickelte es in sein rotes Tuch und band es um den Hals. Dann lief er nach dem Schranke, ergriff sein Geld, nahm ein paar Hemden, stürzte aus der Tür und verschwand in der Dunkelheit. Da wurde mir alles klar, und ich machte mir das Geschehene zum Vorwurf, als wäre ich selbst der wahre Schuldige. Es kam mir vor, als hörte ich ein Stöhnen. Der unglückliche Juwelier war nicht tot, vielleicht lag es in meiner Macht dadurch, daß ich ihm Hilfe leistete, einen Teil von dem Übel wieder gutzumachen, das ich zwar nicht selbst getan, wohl aber hatte tun lassen. Ich stemmte meine Schultern gegen die schlecht zusammengefügten Bretter, die den Schuppen, in dem ich mich befand, von der inneren Stube trennten. Die Bretter gaben nach, und ich befand mich im Hause.
Ich ergriff den Leuchter und eilte nach der Treppe; ein Körper versperrte mir den Weg, es war der Leichnam der Carconte. Der Pistolenschuß, den ich gehört, war auf sie abgefeuert; ihr Hals war völlig durchbohrt. Das Zimmer bot den Anblick der furchtbarsten Zerstörung. Alle Geräte waren umgeworfen; die Bettlaken, an die sich der unglückliche Juwelier ohne Zweifel angeklammert hatte, lagen auf dem Boden; er selbst war auf der Erde ausgestreckt und schwamm, den Kopf an die Wand gestützt, in seinem Blute, das aus drei breiten Wunden in seiner Brust hervorquoll. In einer vierten stak ein langes Küchenmesser, das bis ans Heft hineingestoßen war.
Ich näherte mich dem Juwelier, er war nicht ganz tot. Bei dem Lärm, den ich machte, öffnete er seine stieren Augen; heftete sie eine Sekunde lang auf mich, bewegte seine Lippen, als wollte er sprechen, und verschied.
Dieses furchtbare Schauspiel machte mich fast wahnsinnig. Von dem Augenblick jedoch, wo ich nicht mehr helfen konnte, fühlte ich nur das Bedürfnis, zu fliehen. Mich bei den Haaren fassend und ein Geschrei des Schreckens ausstoßend, stürzte ich nach der Treppe.
In der unteren Stube fand ich eine ganze bewaffnete Macht, bestehend aus fünf bis sechs Zollbeamten
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