Der Graf von Monte Christo
mich gekettet und fühle mich zugleich so schwach, daß es mir vorkommt, als stützten mich meine Fesseln, so daß ich mich davor fürchte, sie zu zerbrechen. Überdies ist mein Vater nicht der Mann, dessen Befehle man ungestraft übertreten dürfte; er ist mächtig gegen mich, er wäre mächtig gegen Sie, er wäre sogar mächtig gegen den König, beschützt durch eine vorwurfsfreie Vergangenheit und eine beinahe unangreifbare Stellung. Oh! Maximilian, ich schwöre Ihnen, ich kämpfe nicht, weil ich Sie nicht minder als mich in diesem Kampf zu Grunde zu richten befürchte.
Aber Valentine, versetzte Maximilian, warum auf diese Art verzweifeln, warum die Zukunft stets so düster sehen?
Ah! mein Freund, weil ich nach der Vergangenheit urteile.
Aber vergessen Sie nicht, daß ich auch Ihrem Vater kein unwillkommener Freier sein kann. Ich habe gute Aussichten in der Armee, ich besitze ein beschränktes, aber unabhängiges Vermögen; das Andenken an meinen Vater endlich wird bei uns als das eines der ehrlichsten Kaufleute, die je gelebt haben, verehrt. Ich sage, bei uns, Valentine, weil Sie halb und halb von Marseille sind.
Sprechen Sie mir nicht von Marseille, Maximilian, dieses einzige Wort erinnert mich an meine gute Mutter, an diesen guten, von der ganzen Welt beklagten Engel; an diese herrliche Frau, die, nachdem sie während ihres kurzen Aufenthaltes auf Erden über ihre Tochter gewacht, jetzt, so glaube ich sicher, im Himmel über sie wacht. Oh! wenn meine Mutter noch lebte, Maximilian, so hätte ich nichts mehr zu fürchten! Ich würde ihr sagen, daß ich Sie liebe, und sie würde uns beschützen.
Ach! Valentine, entgegnete Maximilian, wenn sie noch lebte, würde ich Sie ohne Zweifel nicht kennen; denn Sie wären dann, wie Sie sagen, glücklich, und die glückliche Valentine hätte mich von ihrer Größe herab verächtlich angeschaut.
Ah! mein Freund! rief Valentine. Sie sind ebenfalls ungerecht ... Doch, sagen Sie mir ...
Was soll ich Ihnen sagen? versetzte Maximilian, als er Valentine zögern sah.
Sagen Sie mir, fuhr das Mädchen fort, waltete in Marseille nicht ein Mißverständnis zwischen Ihrem Vater und dem meinigen ob?
Nicht, daß ich wüßte, erwiderte Maximilian, wenn nicht dadurch, daß Ihr Vater ein mehr als eifriger Parteigänger der Bourbonen und der meinige ein dem Kaiser ergebener Mann war; das ist, glaube ich, die einzige Uneinigkeit, die zwischen ihnen stattgefunden hat. Doch warum diese Frage, Valentine?
Ich will es Ihnen gestehen, versetzte das Mädchen, denn Sie müssen es wissen. Es war an dem Tage, an dem Ihre Ernennung zum Offizier der Ehrenlegion in der Zeitung bekannt gemacht wurde. Wir befanden uns alle bei meinem Großvater, Herrn Noirtier; außerdem war noch Herr Danglars zugegen, Sie wissen, der Bankier, dessen Pferde vorgestern meiner Mutter und meinem Bruder beinahe den Tod gebracht hätten. Ich las die Zeitung meinem Großvater laut vor, während die Herren von der wahrscheinlichen Verheiratung des Herrn von Morcerf mit Fräulein Danglars sprachen. Als ich zu der Sie betreffenden Mitteilung kam, die mir bereits bekannt war, denn Sie hatten mir am Tage vorher die frohe Kunde mitgeteilt, – war ich sehr glücklich, zitterte jedoch, daß ich Ihren Namen laut aussprechen sollte, und ich würde ihn gewiß übergangen haben, hätte ich nicht befürchtet, man könnte mein Stillschweigen übel auslegen; ich raffte also meinen ganzen Mut zusammen und las.
Teure Valentine!
Nun wohl, sobald Ihr Name erklang, drehte mein Vater seinen Kopf; ich war so überzeugt – sehen Sie, wie töricht ich bin! – alle Welt würde von diesem Namen wie vom Donner gerührt werden, daß ich meinen Vater und sogar Danglars, bei dem es sicher eine Täuschung war, beben zu sehen glaubte.
Morel, sagte mein Vater mit gerunzelter Stirn. Sollte es einer von den Morels aus Marseille sein, einer von den wütenden Bonapartisten, die uns im Jahre 1815 so übel mitgespielt haben?
Ja, erwiderte Herr Danglars, ich glaube sogar, daß es der Sohn des ehemaligen Reeders ist.
Wirklich? versetzte Maximilian; und was antwortete Ihr Vater, Valentine?
Oh! etwas Abscheuliches, das ich nicht wiederholen kann.
Sagen Sie es immerhin! sagte Maximilian lächelnd.
Ihr Kaiser wußte alle diese Fanatiker an ihren Platz zu stellen, fuhr er mit immer düstererer Stirn fort, er nannte sie Kanonenfutter, und das war der einzige Name, den sie verdienen; ich freue mich, daß die gegenwärtige Regierung dieses heilsame Prinzip
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