Der Graf von Monte Christo
daß man ebensowenig das Auge, als das Herz eines Vaters täuscht.
Hm! machte der Major.
Ist Ihnen irgend eine indiskrete Enthüllung zuteil geworden, oder haben Sie vielmehr erraten, er sei da?
Wer?
Ihr Kind, Ihr Sohn, Ihr Andrea!
Ich habe es erraten, erwiderte der Lukkeser mit dem größten Phlegma der Welt; er ist also hier?
Er ist hier, sagte Monte Christo, mein Kammerdiener hat mich soeben von seiner Ankunft benachrichtigt.
Ah! sehr gut! sagte der Major, indem er dabei die Schnüre seiner Polonaise zusammenzog.
Mein Herr, ich begreife Ihre Erschütterung, man muß Ihnen Zeit lassen, sich zu erholen; auch will ich den jungen Menschen auf die so sehr ersehnte Zusammenkunft vorbereiten, denn ich setze voraus, er ist nicht minder ungeduldig als Sie.
Ich glaube es wohl, sagte Cavalcanti.
Gut! in einer kleinen Viertelstunde gehören wir Ihnen.
Sie bringen mir ihn? Sie treiben also Ihre Güte so weit, daß Sie mir meinen Jungen selbst vorstellen?
Nein, ich will mich keineswegs zwischen einen Vater und seinen Sohn stellen; Sie werden allein sein, Herr Major; doch seien Sie unbesorgt, selbst dann, falls die Stimme des Blutes stumm bliebe, könnten Sie sich nicht täuschen, er wird durch diese Tür eintreten. Es ist ein hübscher, blonder, junger Mann, vielleicht etwas zu blond, und von äußerst einnehmenden Manieren, wie Sie sehen werden.
Doch Sie wissen, sagte der Major, ich nahm nur die zweitausend Franken mit, die mir der Abbé Busoni zu geben die Güte hatte. Damit machte ich die Reise, und ...
Und Sie brauchen Geld, das ist nur zu billig, mein lieber Herr Cavalcanti. Hier sind auf Abschlag acht Tausendfranknoten.
Die Augen des Majors glänzten wie Karfunkel.
Somit bin ich Ihnen noch vierzigtausend Franken schuldig, sagte Monte Christo.
Will Eure Exzellenz einen Empfangschein? fragte der Major, die Scheine in die innere Tasche seiner Polonaise steckend.
Wozu?
Als Belege dem Abbé Busoni gegenüber.
Sie geben mir einen allgemeinen Schein, wenn Sie die letzten vierzigtausend Franken in Empfang genommen haben. Unter ehrlichen Leuten sind solche Vorsichtsmaßregeln unnötig.
Ah! ja, das ist wahr, sagte der Major, unter ehrlichen Leuten.
Nun noch ein letztes Wort, Marquis. Sie erlauben mir eine kleine, unmaßgebliche Bemerkung, nicht wahr?
Ich bitte darum.
Es wäre wirklich nicht übel, wenn Sie diese Polonaise ablegen würden.
Wirklich? sagte der Major, sein Kleid mit einem gewissen Wohlgefallen anschauend.
Ja, das trägt man noch in Via Reggio, aber in Paris ist dieses Kostüm, so elegant es auch sein mag, längst aus der Mode.
Das ist ärgerlich.
Oh! wenn Sie viel darauf halten, so ziehen Sie es bei Ihrer Abreise wieder an.
Aber was soll ich dafür nehmen?
Was Sie in Ihren Koffern finden.
Wie, in meinen Koffern! Ich habe nur einen Mantelsack.
Bei sich, allerdings. Wozu sich beschweren? Überdies liebt es ein alter Soldat, mit leichter Ausrüstung zu marschieren.
Gerade deshalb ...
Sie sind ein vorsichtiger Mann und haben Ihre Koffer vorausgeschickt. Diese sind gestern im Hotel des Princes, Rue de Richelieu, angelangt. Dort ist Ihre Wohnung bestellt.
In diesen Koffern also? ...
Ich setze voraus, Sie sind so vorsichtig gewesen, durch Ihren Kammerdiener alles, was Sie brauchen, einpacken zu lassen: Röcke zu gewöhnlichen Ausgängen, Uniformen. Bei großen Veranlassungen ziehen Sie Ihre Uniform an, das tut gut. Vergessen Sie Ihre Kreuze nicht. Man spottet darüber in Frankreich, trägt sie aber dennoch immer.
Sehr gut! sehr gut! sehr gut! sagte der Major, von dem, was er hörte, immer mehr geblendet.
Und nun, da Ihr Herz gegen zu lebhafte Empfindungen gewappnet ist, bereiten Sie sich vor, lieber Cavalcanti, Ihren Sohn Andrea wiederzusehen.
Und sich freundlich vor dem entzückten Lukkeser verbeugend, verschwand Monte Christo hinter dem Türvorhange.
Andrea Cavalcanti.
Monte Christo trat in den anstoßenden Salon, den Baptistin unter dem Namen der blaue Salon bezeichnet hatte, und in den schon vor ihm ein ziemlich elegant gekleideter junger Mann von ungezwungenen Manieren eingetreten war. Dieser lag auf dem Sofa und klopfte mit zerstreuter Miene seine Stiefel mit einem goldknöpfigen Röhrchen. Sobald er Monte Christo wahrnahm, stand er rasch auf.
Der Herr Graf von Monte Christo? fragte er.
Ja, antwortete dieser, und ich habe wohl die Ehre, mit dem, Herrn Grafen Cavalcanti zu sprechen?
Der Graf Andrea Cavalcanti, wiederholte der junge Mann, indem er diese Worte mit einer
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