Der Graf von Monte Christo
eines großen Glückes ist man zu zweifeln berechtigt; der Vertrag wird also nicht unterzeichnet werden?
Nein, machte der Gelähmte.
Trotz dieser Versicherung wollte Morel nicht an sein Glück glauben. Das Versprechen eines ohnmächtigen Greises war so seltsam, daß es, statt der Willenskraft zu entspringen, ebensogut in einer Schwäche der Organe seinen Ursprung haben konnte. Ist es nicht natürlich, daß der Wahnsinnige, der nichts von der Störung seines Geistes weiß, für sein Vermögen Unüberwindliches ausführen zu können glaubt? Der Schwache spricht von Lasten, die er aufhebt, der Schüchterne von Riesen, denen er Trotz bietet, der Arme von Schätzen, über die er zu gebieten hat, der Niedriggeborene nennt sich in seinem Stolze Jupiter.
Ob nun Noirtier die Unentschiedenheit des jungen Mannes begriffen hatte, ob er der Gelehrigkeit, die er gezeigt, keinen vollen Glauben schenkte, er schaute Maximilian fest an. Was wollen Sie, mein Herr? fragte Morel, soll ich Ihnen mein Versprechen, nichts zu tun, wiederholen?
Noirtiers Blick blieb fest und starr, als wollte er sagen, ein Versprechen genüge nicht; dann schaute er auf Morels Hand.
Soll ich schwören, mein Herr? fragte Maximilian.
Ja, machte der Lahme mit derselben Feierlichkeit.
Morel begriff, daß dem Greise an diesem Eide viel gelegen sei.
Er streckte die Hand aus und sagte: Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, abzuwarten, was Sie gegen die Ansprüche des Herrn d'Epinay zu unternehmen gedenken.
Gut, machten die Augen des Greises.
Nun befehlen Sie, mein Herr, daß ich mich zurückziehe?
Ja.
Morel bedeutete durch ein Zeichen, er sei bereit, zu gehorchen.
Erlauben Sie, mein Herr, fuhr Morel fort, daß Ihr Sohn Sie umarmt, wie es soeben Ihre Tochter getan hat?
Man konnte sich in dem Ausdrucke der Augen des Greises nicht täuschen. Der junge Mann drückte auf Noirtiers Stirn seine Lippen an dieselbe Stelle, an die Valentine die ihrigen gedrückt hatte.
Dann verbeugte er sich zum zweiten Male vor dem Greise und ging hinaus. Außen fand er den alten Diener, den Valentine in Kenntnis gesetzt hatte; er erwartete Morel und geleitete ihn durch die Krümmungen eines düsteren Ganges, der zu einer nach dem Garten gehenden kleinen Tür führte. Bald hatte Morel das Gitter erreicht; durch die Hagenbuchenhecke war er in einem Augenblick oben auf der Mauer und durch seine Leiter in einer Sekunde in dem Luzernengehege, wo sein Wagen immer noch seiner harrte. Er stieg ein, kehrte müde und matt, aber mit freierem Herzen in die Rue Meslay zurück, warf sich auf sein Bett und schlief, als läge er in den Banden tiefer Trunkenheit.
Die Gruft der Familie Villefort.
Zwei Tage nachher versammelte sich eine beträchtliche Menge Menschen gegen zehn Uhr morgens vor der Tür des Herrn von Villefort, und man sah eine Reihe von Trauerwagen und Privatgefährten den Faubourg Saint-Honors und die Rue de la Pépinière entlang ziehen.
Unter diesen Wagen hatte einer eine sonderbare Form. Es war eine Art von schwarz angemaltem Packwagen. Auf ihre Erkundigung erfuhren die Leidtragenden, daß dieser Wagen den Körper des Marquis von Saint-Mecan enthalte. Die Zahl der Anwesenden war sehr groß. Der Marquis von Saint-Meran, einer der eifrigsten und getreuesten Würdenträger König Ludwigs XVIII. und König Karls X., besaß eine große Zahl von Freunden, zu denen noch die vielen Personen kamen, die durch gesellschaftliche Bande an Herrn von Villefort geknüpft waren.
Ein zweiter Wagen, mit derselben Pracht geschmückt, fuhr vor der Tür des Herrn von Villefort vor, und der Sarg wurde von dem erwähnten Transportwagen auf den Leichenwagen gebracht.
Die beiden Toten sollten in dem Friedhofe des Père la Chaise bestattet werden, wo seit langer Zeit Herr von Villefort das für das Begräbnis seiner ganzen Familie bestimmte Gewölbe hatte errichten lassen. In diesem Gewölbe ruhte bereits der Leichnam der armen Renée, mit der sich ihr Vater und ihre Mutter nach zehnjähriger Trennung wieder vereinigen sollten.
Miteinander in demselben Trauerwagen unterhielten sich Beauchamp, Debray und Chateau-Renaud über den plötzlichen Todesfall.
Ich habe Frau von Saint-Meran bei meiner Rückkehr von Algerien im vorigen Jahre in Marseille gesehen, sagte Chateau-Renaud; mit ihrer vollkommenen Gesundheit, mit ihrer Geistesgegenwart und ihrer wunderbaren Rüstigkeit schien sie zu einem Leben von hundert Jahren bestimmt. Wie alt war die Marquise?
Sechsundsechzig Jahre, wenigstens wie mir
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