Der Graf von Monte Christo
...
Das ist ganz einfach, gnädige Frau, erwiderte Monte Christo, diese Weste und dieser Brief sind Beweisstücke; ich habe darum auch Brief und Weste zu dem Herrn Staatsanwalt geschickt. Sie begreifen, Herr Baron, der gesetzliche Weg ist der sicherste in Kriminalsachen; vielleicht war es ein hinterlistiger Streich gegen Sie.
Andrea schaute Monte Christo starr an und verschwand in den zweiten Salon.
Das ist möglich, sagte Danglars, war der Ermordete nicht ein ehemaliger Galeerensklave?
Ja, antwortete der Graf, ein ehemaliger Galeerensklave, namens Caderousse.
Danglars erbleichte leicht, Andrea verließ den zweiten Salon und erreichte das Vorzimmer.
Unterzeichnen Sie doch, sagte Monte Christo, ich sehe, daß meine Erzählung einige Aufregung verursacht hat, und bitte Sie, Frau Baronin, und Fräulein Danglars um Verzeihung.
Die Baronin übergab die Feder dem Notar.
Herr Prinz Cavalcanti, sagte der Notar, Herr Prinz Cavaleanti, wo sind Sie?
Andrea! Andrea! wiederholten mehrere Stimmen von jungen Leuten, die bereits mit dem edlen Italiener zu einemsolchen Grade von Vertraulichkeit gelangt waren, daß sie ihn mit seinem Taufnamen riefen.
Rufen Sie doch den Prinzen, sagen Sie ihm, es sei die Reihe an ihm, zu unterzeichnen! rief Danglars einem Diener zu.
Doch in demselben Augenblick strömte die Menge der Anwesenden in den Hauptsalon zurück, als ob ein furchtbarer Schreck über sie hereingebrochen wäre.
Es war allerdings Grund vorhanden, zurückzuweichen, denn ein Gendarmerieoffizier stellte zwei Gendarmen vor die Tür des Salons und ging in Begleitung eines mit seiner Schärpe umgürteten Polizeikommissars auf Danglars zu.
Frau Danglars stieß einen Schrei aus und fiel in Ohnmacht. Danglars, der sich selbst bedroht glaubte, zeigte seinen Gästen ein von Schrecken entstelltes Gesicht.
Was gibt es denn, mein Herr? fragte Monte Christo, dem Kommissar entgegengehend.
Wer von Ihnen, meine Herren, fragte der Beamte, heißt Andrea Cavalcanti?
Ein Schrei des Erstaunens brach aus allen Ecken des Saales hervor. Man suchte; man fragte.
Aber was ist es denn mit diesem Andrea Cavalcanti? fragte Danglars ganz verwirrt.
Er ist ein aus dem Bagno in Toulon entsprungener Galeerensklave.
Und welches Verbrechen hat er begangen?
Er ist angeklagt, sagte der Kommissar mit seiner unerschütterlichen Stimme, einen Menschen, namens Caderousse, seinen ehemaligen Kettengenossen, im Augenblick, wo dieser aus dem Hause des Herrn Grafen von Monte Christo kam, ermordet zu haben.
Monte Christo schaute rasch umher.
Andrea war verschwunden.
Die Straße nach Belgien.
Einige Augenblicke nach der Szene der Verwirrung, welche die unerwartete Erscheinung des Gendarmerieoffiziers und die Enthüllung des Polizeikommissars hervorgebracht hatten, leerte sich das große Danglarssche Hotel mit einer Geschwindigkeit, als wäre einer der Gäste von der Pest oder der Cholera befallen worden.
In dem Hotel des Bankiers waren nur Danglars, der, in sein Kabinett eingeschlossen, vor dem Gendarmerieoffizier seine Aussagen machte, Frau Danglars in ihrem Boudoir und Eugenie zurückgeblieben, die sich mit ihrer unzertrennlichen Freundin, Fräulein Luise d'Armilly, in ihr Zimmer zurückgezogen hatte.
Oh! mein Gott! mein Gott! diese furchtbare Geschichte! sagte die junge Tonkünstlerin; wer konnte dies vermuten? Herr Andrea Cavalcanti ... ein Mörder ... aus dem Bagno entsprungen ... ein Galeerensklave! ...
Ein ironisches Lächeln zog Eugenies Lippen zusammen.
In der Tat, ich war prädestiniert, sagte sie. Ich entgehe Morcerf, um in Cavalcantis Hände zu fallen.
Oh! verwechsele den einen nicht mit dem andern, Eugenie.
Schweige, alle Männer sind Schändliche, bis jetzt verachtete ich sie, nun hasse ich sie.
Was werden wir machen?
Was wir in drei Tagen machen sollten ... abreisen.
Also heiratest du nicht mehr, du willst beständig ...
Höre, Luise, ich habe einen Abscheu vor diesem Leben der Gesellschaft, das stets geordnet, abgemessen, geregelt ist, wie unser Notenpapier. Was ich immer gewünscht, gewollt, erstrebt habe, ist das Leben einer Künstlerin, das freie Leben, das unabhängige Leben, wobei man nur sich selbst Rechenschaft abzulegen hat. Hier bleiben, warum? Damit man es in einem Monat abermals versucht, mich zu verheiraten – mit wem? Mit Herrn Debray vielleicht, wie man es einen Augenblick im Sinne hatte. Nein, Luise, nein, der Vorfall heute abend wird mir zur Entschuldigung dienen; ich suchte ihn nicht, ich verlangte
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