Der Graf von Monte Christo
Vergangenheit befestigt ist, so besteht auch eine Kluft zwischen Ihnen und den andern Menschen, und meine schmerzlichste Qual, ich sage es Ihnen, ist es zu vergleichen; denn es gibt nichts auf der Welt, was Ihnen an Wert gleichkommt, nichts, was Ihnen ähnlich ist. Nun, sagen Sie mir Lebewohl, Edmond, und trennen wir uns!
Ehe ich Sie verlasse, was wünschen Sie, Mercedes?
Ich wünsche nur eines, Edmond, daß mein Sohn glücklich werde.
Bitten Sie den Herrn, der allein das Dasein der Menschen in seinen Händen hält, er möge den Tod von ihm fernhalten, das übrige sei meine Sorge.
Ich danke, Edmond.
Doch Sie, Mercedes?
Ich brauche nichts, ich lebe zwischen zwei Gräbern; das eine ist das von Edmond Dantes, der vor langer Zeit gestorben; ich liebte ihn! Dieses Wort paßt nicht mehr zu meiner verwelkten Lippe, doch mein Herz erinnert sich noch dessen, und um keinen Preis der Welt möchte ich dieses Andenken meines Herzens verlieren. Das andere ist das eines Menschen, den Edmond Dantes getötet hat; ich billige die Tat, aber ich muß für den Toten beten.
Ihr Sohn wird glücklich werden, wiederholte der Graf.
Dann werde ich so glücklich sein, wie ich sein kann.
Doch was gedenken Sie ... am Ende ... zu tun?
Mercedes lächelte traurig.
Wollte ich Ihnen sagen, ich werde in dieser Gegend leben, wie die Mercedes von ehemals, das heißt arbeiten, so würden Sie mir nicht glauben; ich vermag nur noch zu beten, doch ich bedarf der Arbeit nicht. Der von Ihnen vergrabene kleine Schatz hat sich an dem bezeichneten Orte gefunden; man wird forschen, wer ich bin, man wird fragen, was ich mache, man wird nicht wissen, wovon ich lebe; was liegt daran? Das ist eine Angelegenheit zwischen Gott, Ihnen und mir.
Mercedes, sagte der Graf, ich mache Ihnen keinen Vorwurf, doch Sie haben das Opfer übertrieben, indem Sie das ganze von Herrn von Morcerf angehäufte Vermögen Fremden überließen, während die Hälfte von Rechtswegen Ihrer Sparsamkeit und Wachsamkeit zukam.
Ich sehe, was Sie mir vorschlagen wollen, doch ich kann es nicht annehmen, mein Sohn würde es mir verbieten.
Ich werde mich auch wohl hüten, etwas für Sie zu tun, was nicht die Billigung des Herrn Albert von Morcerf hätte. Ich werde seine Ansichten erforschen und mich denselben unterwerfen. Doch wollen Sie, wenn er das, was ich tun will, annimmt, selbst nicht widerstreben?
Sie wissen, Edmond, daß ich kein denkendes Geschöpf mehr bin; ich habe keine Entschließung, wenn nicht die, mich nie mehr zu entschließen. Gott schüttelte mich so in seinen Stürmen, daß ich den Willen verloren habe. Ich bin wie ein Sperling in den Klauen des Adlers. Gott will nicht, daß ich sterbe, da ich lebe. Schickt er mir Hilfe, so wird er dies wollen, und ich werde sie annehmen.
Seien Sie auf Ihrer Hut, gnädige Frau, sagte Monte Christo, so betet man Gott nicht an! Gott will, daß man ihn verstehe und sich seine Macht klar mache; deshalb hat er uns den freien Willen gegeben.
Unglücklicher! rief Mercedes, sprechen Sie nicht so zu mir. Wenn ich glaubte, Gott habe mir den freien Willen gegeben, was bliebe mir, um mich vor Verzweiflung zu retten?
Monte Christo erbleichte leicht und neigte das Haupt, niedergebeugt durch die Heftigkeit dieses Schmerzes.
Wollen Sie mir nicht sagen: Auf Wiedersehen? sprach er, ihr die Hand reichend.
Oh ja, ich sage Ihnen Lebewohl auf Wiedersehen und beweise damit, daß ich noch hoffe, antwortete Mercedes, feierlich auf den Himmel deutend, und nachdem sie die Hand berührt, stürzte sie nach der Treppe und verschwand aus seinen Augen.
Monte Christo verließ langsam das Haus und schlug den Weg nach dem Hafen ein.
Doch Mercedes sah nicht, wie er sich entfernte, obgleich sie in dein kleinen Zimmer von Dantes' Vater am Fenster stand. Ihre Augen suchten in der Ferne das Schiff, das ihren Sohn nach dem weiten Meere forttrug, wenn auch ihre Stimme gleichsam unwillkürlich murmelte: Edmond! Edmond! Edmond!
Die Vergangenheit.
Der Graf ging mit wundem Herzen aus dem Hause, wo er Mercedes zurückließ, um sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr zu sehen.
Seit dem Tode des kleinen Eduard war eine gewaltige Veränderung in Monte Christo vorgegangen. Auf dem Gipfel seiner Rache angelangt, zu dem er auf einem steilen und gekrümmten Pfade aufgestiegen war, hatte er auf der anderen Seite des Berges den Abgrund des Zweifels erblickt, und das Gespräch, das soeben zwischen ihm und Mercedes stattgefunden, hatte sein Herz übermäßig
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