Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
große Unsicherheit, wie man sich dagegen wehren sollte, all das ist viel zu schemenhaft für einen so sachlichen Geist und einen so kompromisslosen Charakter, wie ich sie besitze. Angesichts greifbarer Hindernisse wachsen meine Intelligenz und mein Einfallsreichtum; doch was soll ich einer auf mich gezielten Falle entgegensetzen, einem Dolchstoß in einem Flur der Oper, einem Gewehrschuss aus einem Fenster, einer Höllenmaschine, die an einer Straßenecke explodiert? Jederzeit müsste ich alles fürchten. Sinnlose Schwäche! Sich allerorten vor allem in Acht nehmen: unmöglich! Die Gefahren, denen ich mich unablässig aussetze, muss ich mir nicht nur aus dem Sinn schlagen, ich muss mich von dem bloßen Gedanken daran befreien, indem ich sie vergesse, gründlich vergesse. Denn ich vermag«, fügte er hinzu, »meine Gedanken zu leiten oder sie wenigstens so weit zu lenken, dass ich meine Gefühle und Handlungen meinem Willen unterwerfen kann: Was ich ein für alle Mal als außerhalb meiner Mittel und meines Beliebens erachte, werde ich nie wieder mit der geringsten Aufmerksamkeit bedenken; und von Ihnen verlange ich nichts weiter, als mir meine Ruhe zu lassen, denn meine Ruhe ist meine Stärke.«
Da Fouché abermals verlangte, der Erste Konsul solle sich vorsehen, sagte er zuletzt: »Schluss jetzt, gehen Sie nach Hause. Lassen Sie Ihre Männer festnehmen, wenn Sie meinen, sie überführt zu haben, lassen Sie sie aufhängen, füsilieren, guillotinieren, nicht weil sie mich ermorden wollten, sondern weil sie Tölpel sind, die mich verfehlt haben und stattdessen zwölf Citoyens getötet und sechzig verletzt haben.«
Fouché begriff, dass angesichts Bonapartes gegenwärtiger Geistesverfassung nichts auszurichten war. Er ging nach Hause und traf dort den Limousiner an, der auf ihn wartete.
Dieser Mann, dessen Gewandtheit ihm Fouchés ganzes Vertrauen gesichert
hatte, wusste inzwischen, dass seit dem Anschlag mit der »Höllenmaschine« drei Männer spurlos verschwunden waren, die von der Polizei überwacht worden waren, weil man argwöhnte, sie seien Chouans, nach Paris gekommen in der Absicht, den Ersten Konsul zu ermorden; völlig zutreffend schloss er, dass diese drei die Urheber des Verbrechens sein mussten, denn sonst wären sie nicht untergetaucht, sondern hätten nicht gezögert, sich zu zeigen, damit man sie auf keinen Fall verdächtigte. Er wusste, wer die drei waren: Limoëlan, ein alter Vendée-Kämpfer, Saint-Régeant und Carbon.
Von Limoëlan und Saint-Régeant fehlte jede Spur, doch im Faubourg Saint-Marcel entdeckte der Spitzel eine Schwester Carbons, die dort mit ihren zwei Töchtern wohnte. Er mietete ein Zimmer im selben Stockwerk und hielt sich mehrere Tage lang so auffällig wie möglich dort verborgen; am dritten Tag, besser gesagt in der dritten Nacht, schleppte er sich nach lautem Jammergeschrei, das die dünnen Wände sicherlich nicht vor den Ohren seiner Nachbarn verborgen hatten, bis vor ihre Wohnungstür, klingelte und sank an der Wand auf die Knie.
Eine der Töchter öffnete die Tür, sah ihn entkräftet dort lehnen, kaum des Sprechens fähig.
»Oh, Mama«, rief sie, »es ist unser armer Nachbar, der den ganzen Tag so gejammert hat!«
Die Mutter kam hinzu, half ihm auf die Beine, nahm ihn mit in die Wohnung und setzte ihn auf einen Stuhl; dann fragte sie, wie sie und ihre Töchter ihm trotz ihrer Armut helfen könnten.
»Ich sterbe Hungers«, erwiderte der Limousiner, »ich habe seit drei Tagen nichts gegessen. Ich wage mich nicht auf die Straße, wo es von Polizeispitzeln wimmelt, denn ich bin mir sicher, dass sie nach mir suchen.«
Carbons Schwester flößte ihm ein Glas Wein ein und reichte ihm dann ein Stück Brot, das er verschlang, als hätte er tatsächlich drei Tage lang nichts zu sich genommen. Und da die Frauen befürchteten, die Polizeispitzel seien ihretwegen unterwegs, der Schwester und der Nichten Carbons wegen, fragten sie ihren Nachbarn, was er getan habe.
Indem er sich stellte, als gäbe er ihren Fragen nach, gestand er oder gab er vor zu gestehen, dass er von Cadoudal nach Paris geschickt worden war, um sich Saint-Régeant und Limoëlan anzuschließen. Doch als er am Tag nach dem Attentat in Paris angekommen war, hatte er sich über keinen der beiden kundig machen können. Dies war umso unerfreulicher, als er um ein unfehlbares Mittel wusste, sie nach England zu bringen. An
diesem ersten Tag ihrer Bekanntschaft vertrauten die alte Dame und ihre Töchter sich dem
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