Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
französischen Grundbesitzer gehöre. Diese Siedlung, die nur aus einigen Bauernhäuschen oder Hütten bestand, trug den Namen Rangoon House, und die Reisenden erkannten darin zweifelsfrei den Besitz des Vicomte de Sainte-Hermine. Renés kleine Slup segelte unter amerikanischer Flagge, doch sie wurde eingehend untersucht, denn sie sah den Handelsschiffen, die in dieser Weltgegend verkehrten, so unähnlich, dass die Behörden erst nach einem dritten Besuch an Bord die Fahrt den Fluss entlang erlaubten.
Es war schon spät am Tag, als die Reisenden Rangun erreichten und den Rangun-Fluss querten, der in einen Seitenarm des Irrawaddy mündet; dann ging es den Fluss Pegu entlang, der in dem Bergland weiter südlich entspringt und nach einem Verlauf von fünfundzwanzig bis dreißig Meilen zwischen Irrawaddy und Sittang in den Rangun-Fluss mündet. Bei Siriam, der ersten Stadt, die man erreichte, wurde angehalten, damit frischer Proviant besorgt werden konnte – Hühner, Tauben, Wassergeflügel und Fisch. Wenn der Wind weiterhin stetig aus Süden blies, konnte das kleine Schiff in zwei Tagen Pegu erreichen; änderte er aber die Richtung, wären Schleppkähne nötig, um es nach Pegu zu bringen, und dies würde die Fahrzeit wenigstens verdoppeln. Niemand wäre auf die Idee verfallen, der bejammernswerten Stadt Rangun einen Besuch abzustatten, der einstigen Landeshauptstadt mit einer Bevölkerung von hundertfünfzigtausend Seelen, in der mittlerweile nur mehr siebentausend Bewohner verblieben sind. Von dem alten Glanz ist nichts geblieben als der Buddha-Tempel, der bei der Plünderung der Stadt verschont wurde und der in der Landessprache Shwedagon-Pagode heißt, was »goldenes Heiligtum« bedeutet.
Der Fluss Pegu war an der Stelle, an der die Slup in ihn hineinfuhr, etwa eine Meile breit, doch schon bald verengte er sich zwischen den dschungelbewachsenen Ufern, bis er kaum breiter war als die Seine zwischen Louvre und Institut, und den Reisenden war nur zu bewusst, dass diese grüne Wildnis von zehn bis zwölf Fuß Höhe, also gleicher Höhe wie die Poop des Schiffs, von wilden Tieren jeder Art bewohnt sein musste. Der Mastkorb des Schiffs überragte die höchsten Bäume des Dschungels um fünf, sechs Meter, und von dieser luftigen Höhe aus waren zur Linken und Rechten des Flusses sumpfige Ebenen zu sehen, die sich auf der einen
Seite bis zum Wüstensaum des Sittangs erstreckten und auf der anderen bis zu der Kette von Städten, die am Irrawaddy liegen.
René war sich sehr wohl im Klaren darüber, dass die Fahrt auf einem so ufernahen Fluss eine gefährliche Sache war, und er beschloss, persönlich an Deck Wache zu halten, wozu er sich sein Gewehr und seinen dopelläufigen Stutzen bringen ließ. Als der Abend hereinbrach, kamen die Schwestern herauf, um sich mit René auf die Poop zu setzen. Neugierig auf die Wirkung einer Jagdfanfare in diesen einsamen Weiten, ließ René sein Jagdhorn bringen. Von Zeit zu Zeit wurden aus der Wildnis laute Geräusche hergetragen: Offenbar fanden erbitterte Kämpfe zwischen ihren Bewohnern statt. Aber um was für Bewohner mochte es sich handeln? Vermutlich um Tiger, Kaimane und jene langen Boas, die ein Rind mit ihrer Umschlingung ersticken können, ihm die Knochen brechen und es verschlingen, ohne innezuhalten.
Die immer wieder von einem nicht für menschliche Ohren bestimmten Gebrüll unterbrochene Stille hatte etwas so Erschreckendes und zugleich Feierliches, dass die beiden Mädchen René mehrmals davon abhielten, das Horn anzusetzen. Und dann ertönte ein Hornsignal: dunkel, vibrierend, herausfordernd; es erklang, als schwebte es über den Baumwipfeln und breitete sich aus, bevor es sich in den Weiten dieser Einöde verlor, der weder Gott noch Mensch einen Namen verlieh. Bei diesen ungewohnten Klängen verstummte und verharrte alles ringsum; es war fast, als schwiegen die wilden Tiere, um das ihren Ohren fremde und neue Geräusch besser zu vernehmen.
Der Wind war günstig, und es wurden keine Schleppkähne benötigt. Mit einem Mal rief der Matrose im Ausguck: »Barke voraus!«
In dieser Gegend drohte von überall Gefahr. René beruhigte seine Begleiterinnen, ergriff dann sein Gewehr und trat an die Brüstung der Poop, um mit eigenen Augen zu sehen, worum es sich handelte.
Die Schwestern hatten sich erhoben, bereit, sich beim ersten Zeichen Renés in ihre Kajüte zu begeben. Die Nacht war mondhell, und der Vollmond beschien ein Hindernis auf dem Fluss, das in der Tat einer Barke
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