Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
ähnlich sah.
Es bewegte sich wie von allein und folgte der Strömung des Flusses. Es kam näher und wurde zunehmend erkennbar, bis René sah, dass es sich um einen entwurzelten Baum handelte. Da an diesem allem Anschein nach leblosen Gegenstand nichts Beunruhigendes war, rief René die Schwestern an die Brüstung. Der Baum war nur mehr an die zwanzig
Schritte von der Slup entfernt, als René ein Glühen wie von zwei feurigen Kohlen wahrnahm; er hatte noch nie einen Panther zu sehen bekommen, begriff jedoch, dass sich ein solches Tier auf dem Baum befinden musste. Vielleicht hatte es in der Baumkrone auf der Lauer gelegen, als ein Windstoß den Baum entwurzelt und in den Fluss geworfen hatte. In seinem ersten Schrecken hatte es sich an dem Baum festgekrallt, und nun wusste es sich keinen Rat, wie es an das Ufer zurückgelangen konnte.
»Wenn meine Schwester Hélène den Wunsch nach einem schönen Bettvorleger haben sollte«, sagte René, »muss sie es nur sagen.«
Er zeigte auf den Panther, der seinerseits die Reisenden bemerkte, sein Fell sträubte und fauchend die Zähne bleckte, so dass er eine größere Gefahr für diese bedeutete als sie für ihn.
René legte sein Gewehr an, doch Hélène hinderte ihn daran, den Schuss abzugeben. »Oh«, sagte sie, »verschonen Sie das arme Tier!«
Die erste Regung des weiblichen Herzens ist immer das Mitleid.
»Sie haben recht«, murmelte René, »es wäre blanker Mord.«
Baum und Slup kreuzten sich, und man hörte, wie die Äste und Zweige am Schiffsrumpf raschelten.
Plötzlich stieß der Untersteuermann einen markerschütternden Schrei aus.
»Flach auf den Boden!«, rief René in dem Befehlston, der keinen Widerspruch zulässt.
Das Gewehr, dessen Lauf auf seiner Schulter ruhte, glitt blitzschnell in seine linke Hand; ein Schuss löste sich und in der nächsten Sekunde ein zweiter.
Die Schwestern hielten einander schutzsuchend umarmt; sie hatten erraten, was geschehen war. Der durch seinen Zwangsaufenthalt auf dem Baum ausgehungerte Panther war mit einem Satz zum Schiff gesprungen und auf der Reling gelandet. Bei diesem Geräusch hatte der Untersteuermann sich umgedreht und die wilde Bestie erblickt, die auf der Reling kauerte und nur einen weiteren Satz tun musste, um sich auf ihn zu stürzen; deshalb hatte er den Schrei ausgestoßen, den René gehört und mit zwei Kugeln in den Leib des Panthers beantwortet hatte.
Mit einem Sprung war René, das Gewehr noch in der Hand, zwischen Untersteuermann und Panther; das Tier war tot: Eine der beiden Kugeln hatte sein Herz getroffen.
66
Pegu
Als der Gewehrschuss ertönte, eilten alle an Deck, denn man rechnete mit einem abermaligen Angriff malaiischer Piraten. Das Gute an vergangenen Schrecknissen ist die Vorsicht, die sie einen für die Zukunft lehren.
Kernoch, der sich kurz aufs Ohr gelegt hatte, war als einer der Ersten an Deck und fand den Untersteuermann und den Panther nebeneinander vor, beide reglos und totengleich.
Als Erstes kümmerte man sich um den Untersteuermann, denn es stand zu befürchten, dass der Panther ihn mit einem Prankenhieb verletzt hatte, doch er war unversehrt, während der Panther durch Renés zweiten Schuss auf der Stelle getötet worden war.
Der Schiffsmetzger enthäutete den Panther mit größter Sorgfalt. Das Fell war für Hélène bestimmt, doch Jane bettelte sie so flehend an, dass sie es ihr überließ.
Das Schiff hatte noch keinen Halt eingelegt, und da der Wind weiterhin günstig war, segelte man weiter langsam flussaufwärts.
Die zwei Schwestern gingen zitternd in ihre Kajüte zurück; ihre Begeisterung für das herrliche Land, in dem sie leben würden, hatte sich merklich gedämpft. René blieb bis um drei Uhr morgens bei ihnen; jeden Augenblick glaubten sie hinter ihrem Fenster die furchterregende Fratze einer blutrünstigen wilden Bestie zu sehen.
Die restliche Nacht verbrachten sie zitternd und zagend und ständig neuer Schrecknisse gewärtig. Sobald es hell wurde, kehrten sie an Deck zurück, wo sie ihren Beschützer anzutreffen hofften.
Sie hatten sich nicht getäuscht; sobald René sie sah, rief er: »Kommen Sie, kommen Sie! Ich wollte Sie schon wecken lassen, damit Ihnen der unvergleichliche Anblick dieser zwei Pagoden im Sonnenaufgang nicht entgeht. Die nähere Pagode ist die von Dagoung, und man erkennt sie an ihrer goldenen Spitze und ihrem vergoldeten Schirm; wir müssen nachts ganz nahe an ihr vorbeigekommen sein.«
Die zwei Schwestern betrachteten die Pagoden
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