Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
eine Zeit lang unter meinem Vater, als dieser Kapitän war; er war ein liebenswerter Knabe in seiner Steuermannsjungenuniform mit dem Dolch an der Seite und dem Dreispitz auf dem Kopf. Damals war er zwölf oder dreizehn, und ich war sechs oder sieben Jahre alt. Meine Schwester war zu jung, um sich so gut an ihn zu erinnern wie ich. Mein Vater – darüber können wir ruhig sprechen, da all das verflossen und vergangen ist – hatte sogar vorgehabt, unsere Familien durch engere Bande zu vereinigen. Ich weiß noch, dass wir uns nicht nur als Cousin und Cousine betrachteten, sondern gewissermaßen als Verlobte. Solche Jugendträume muss man vergessen, vor allem wenn es nur Leid bedeuten würde, sich ihrer zu entsinnen. Als wir erfuhren, dass der arme Junge verschwunden war, stellten wir alle Nachforschungen an, die in unserer Macht standen, doch vergeblich, und mein Vater gelangte zu dem Schluss, dass er ums Leben gekommen sein müsse. Dann ereigneten sich die schrecklichen Todesfälle Cadoudals, Pichegrus und des Herzogs von Enghien. Angewidert von den Zuständen in Frankreich, beschloss mein Vater, sich nur noch mit den Ländereien zu befassen, die er am anderen Ende der Welt besaß und von denen es hieß, allein indem man Reis säe, könne man dort reich werden. In London lernten wir Sir James Asplay kennen, der seit sieben oder acht Jahren in Indien lebt und unser Nachbar ist, wie man in Indien eben Nachbar ist, auf zwei- bis dreihundert Meilen Entfernung, denn er ist in Kalkutta stationiert. Er hat den indischen Boden untersucht, und er weiß, was man am besten anbaut; er ist ein hervorragender Jäger, und sein größter Wunsch ist es, sich ein unabhängiges Reich von sechzig Meilen Radius zu schaffen. Ich dagegen bin so ehrgeizlos
wie Hamlet, und wäre mein Reich so klein wie eine Nussschale, wäre ich darin glücklich, vorausgesetzt, meine Schwester wäre es auch.«
Nach diesen Worten legte Hélène ihrer Schwester sanft den Arm um die Schulter und küsste sie zärtlich.
René hatte ihr mit größter Aufmerksamkeit zugehört; hin und wieder hatten sich seiner Brust Seufzer entrungen, als wären in ihm ganz ähnliche Erinnerungen geweckt worden.
Schließlich erhob er sich, ging mit großen Schritten auf der Poop hin und her und setzte sich dann wieder neben die Schwestern, wobei er ein Lied aus der Feder Chateaubriands summte, das in jenen Tagen sehr beliebt war:
Wie süß ist die Erinnerung
An meiner Kindheit Heimatort!
Ach, Schwester, wie schön war die Zeit
In Frankreich!
O mein Land, meine größte Liebe seist
Du allezeit.
Alle drei waren schweigend in ihre Gedanken vertieft, und wer weiß, wie lange sie so geschwiegen hätten, wäre nicht François gekommen, um zu sagen, dass das Mittagessen angerichtet sei, und da die Kampfhandlungen im Speisezimmer ihre Spuren hinterlassen hatten, wurde ausnahmsweise in der Kajüte Monsieur Renés gespeist.
Die Demoiselles de Sainte-Hermine hatten dieses Zimmer nie zuvor betreten; voller Staunen sahen sie, mit wie viel künstlerischem Geschmack es eingerichtet war. René, der ein ausgezeichneter Zeichner war, hatte Aquarelle von allen Landschaften und Sehenswürdigkeiten angefertigt, die ihn beeindruckt hatten. Zwischen zwei Landschaftsaquarellen befanden sich kostbare Waffen, und an der gegenüberliegenden Wand war eine Sammlung von Musikinstrumenten angebracht. Die Schwestern traten neugierig näher, denn beide waren musikalisch. Es gab eine Gitarre, ein Instrument, das Jane spielte. Hélène hingegen war eine mehr als passable Pianistin, doch seit dem Tod ihres Vaters wäre sie nicht im Traum darauf verfallen, die Tasten eines Klaviers zu berühren, obwohl es in ihrer gemeinsamen Kajüte ein solches Instrument gab.
Die Musik schuf ein neues Band zwischen den drei jungen Leuten. Auch in Renés Kajüte gab es ein Klavier, doch René spielte darauf in
ganz eigener Manier; die effektvolleren Stücke der großen Meister jener Zeit spielte er nie, sondern nur leise, klagende Melodien, die ausdrückten, was sein Herz empfand: »Une fièvre brûlante« von Grétry oder »Dernière pensée« von Weber, doch häufiger noch war ihm das Klavier nur ein Echo der Erinnerungen, die niemand mit ihm teilte. In solchen Augenblicken schlug seine Hand so wohlklingende Akkorde an, dass es war, als erzeugte sie nicht Töne, sondern als spräche sie eine eigene Sprache.
Oftmals hatten die Schwestern nachts leise harmonische Klänge vernommen, die sie für das Rauschen des Winds im
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