Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
besuchen und danach mit ihm den Tuilerienpalast aufsuchen sollte.
René war einverstanden, im Vorzimmer zu warten, während Lucas beim Kaiser vorsprach. Sollte Napoleon den Wunsch äußern, ihn zu sehen, würde Lucas ihn holen lassen; sollte er dem jungen Seefahrer gegenüber gleichgültig bleiben, würde dieser sich nicht bemerkbar machen.
Es muss gesagt werden, dass René dieser möglichen Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegensah. Der durchdringende Blick, den Bonaparte zweimal schweigend auf ihn gerichtet hatte, das erste Mal im Hause
Permon, das zweite Mal bei der Gräfin von Sourdis, erschreckte ihn. Ihm war, als nähme Napoleon von allem, was er betrachtete, einen Eindruck auf, der sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingrub; glücklicherweise besaß René einen Frieden des Gemüts und des Gewissens, der durch nichts zu erschüttern war und der ihm erlaubte, jedem Blick standzuhalten, auch dem durchdringendsten.
Am 7. fand sich René um neun Uhr morgens wie vereinbart bei Lucas ein. Um Viertel vor zehn stieg er mit Lucas in einen Wagen; fünf Minuten darauf hielten sie vor dem Eingang des Tuilerienschlosses an.
René betrat das Schloss mit Lucas zusammen und blieb dann im Vorzimmer zurück, während der Kommandant weiterging.
Lucas war ein Mann von eminentem Geist; es gelang ihm, in Gegenwart des Kaisers, ohne Renés Namen zu nennen, alle Heldentaten des jungen Mannes anzusprechen, alles Edle und Tapfere, das er geleistet hatte, doch er musste feststellen, dass der Kaiser kaum minder gut über diese Dinge unterrichtet war als er selbst; dies ermutigte Lucas zu sagen, er könne ihm diesen Helden vorstellen, sofern der Kaiser es wünschen sollte, denn der junge Mann habe ihn begleitet und warte im Vorzimmer.
Der Kaiser machte eine zustimmende Geste und drückte eine Klingel, woraufhin ein Adjutant die Tür öffnete.
»Führen Sie«, sagte Napoleon, »Monsieur René herein, den dritten Leutnant der Redoutable .«
Der junge Mann trat ein.
Napoleon sah ihn und runzelte die Stirn: Der junge Mann trug keine Uniform.
»Wieso«, fragte der Kaiser, »kommen Sie in Zivilkleidung in den Tuilerienpalast?«
»Sire«, erwiderte René, »ich kam nicht her um der Ehre willen, Ihre Majestät zu sehen, denn ich rechnete nicht damit, von Ihnen empfangen zu werden, sondern als Begleiter des Kommandanten, mit dem ich einen Teil des Tages zu verbringen hoffe. Überdies, Sire, bin ich Leutnant, ohne es zu sein. Kommandant Lucas gab mir drei Tage vor der Schlacht von Trafalgar den Posten auf seinem Schiff, da der dritte Leutnant wenige Tage zuvor gestorben war, doch meine Ernennung ist nicht urkundlich bestätigt.«
»Ich dachte«, sagte Napoleon, »Sie hätten den Rang eines zweiten Leutnants bekleidet.«
»Gewiss, Sire, aber das war an Bord eines Kaperschiffs.«
»An Bord von Surcoufs Revenant , nicht wahr?«
»Ja, Sire.«
»Sie haben zur Einnahme des englischen Schiffs Standard beigetragen?«
»Ja, Sire.«
»Und dabei großen Mut bezeigt?«
»Ich tat, was ich konnte, Sire.«
»General Decaen, der Gouverneur der Île de France, hat mir von Ihnen berichtet.«
»Ich hatte die Ehre, ihn kennenzulernen, Sire.«
»Er hat mir von einer Reise ins Landesinnere Indiens geschrieben, die Sie unternommen haben sollen.«
»Ich habe das Landesinnere in der Tat auf etwa fünfzig Meilen erkundet, Sire.«
»Und die Engländer haben Sie in Ruhe gelassen?«
»Diesen Teil Indiens halten sie nicht besetzt, Sire.«
»Und wo ist das? Ich dachte, sie säßen in ganz Indien.«
»Das ist das Königreich Pegu, Sire, zwischen dem Fluss Sittang und dem Fluss Irrawaddy.«
»Und in diesem Teil Indiens sollen Sie, wie man mir beteuert, die waghalsigsten Jagdabenteuer bestanden haben.«
»Ich bin einigen Tigern begegnet, die ich erlegt habe.«
»War es sehr aufregend, als Sie das erste Mal eines dieser Tiere erlegt haben?«
»Das erste Mal ja, Sire, aber die weiteren Male nicht.«
»Und warum?«
»Weil ich den zweiten Tiger dazu gebracht habe, den Blick zu senken, und von da an wusste ich, dass der Tiger ein Tier ist, das der Mensch beherrschen kann.«
»Und bei Nelson?«
»Bei Nelson habe ich einen Augenblick lang gezögert, Sire.«
»Und warum?«
»Weil Nelson ein großer Feldherr war, Sire, und weil ich mir dachte, er wäre vielleicht als Gegengewicht zu Ihrer Majestät notwendig.«
»Ho, ho! Und dennoch haben Sie auf diesen Mann der Vorsehung abgedrückt!«
»Nun, ich sagte mir, wenn er wirklich von der
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