Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
Krater des Vesuvs wie ein Schrapnell, das ein riesiger Mörser in den Himmel geschossen hatte. Das Meer war wie ein silberner Gazevorhang, auf dem Boote vorbeiglitten, an deren Bug Feuer loderten, vor denen sich der schwarze Umriss der Fischer mit ihrem Dreizack abzeichnete, der dem Fisch auflauerte, den der trügerische Lichtschein an die Wasseroberfläche lockte.
Die lange Straße von Pompeji nach Neapel war von zahllosen Lichtern besternt, so dass sie aussah wie eine römische Straße an einem Abend der moccoletti in den letzten Tagen des Karnevals.
Dieses Rumoren muss man gesehen haben, all diese Worte, die einander in der Luft begegnen, muß man gewissermaßen gespürt haben, um das Überschäumen an Lebendigkeit zu verstehen, das Gott mit vollen Händen diesen sonnengesegneten Ländern geschenkt hat.
In Portici hielt der Wagen an, damit die Pferde verschnaufen konnten; sogleich umringten ihn zahllose Schaulustige, neugierig, aber nicht feindselig, die auf die Trittbretter stiegen, den Reisenden ins Gesicht starrten und die silbernen Epauletten des Offiziers und die seidenen Knebel Graf Leos betasteten.
Plötzlich erschienen mitten unter diesem bunten Volk ein Kapuziner und ein Bettler, deren einer sich mit Ellbogen und Faust Platz schuf, während der andere auf die Demut seiner Gebete vertraute.
Der Bettler rief in seinem neapolitanischen Dialekt in so jämmerlichem Ton, dass man sein letztes Stündlein gekommen wähnte: »Einen grano , edler Herr! Einen grano , edler Herr! Ich sterbe vor Hunger, ich habe seit drei Tagen nichts gegessen!«
Der Franziskaner jammerte mit seinem näselnden Akzent, der den Schülern des heiligen Franziskus eigentümlich ist, während er einen Geldbeutel schüttelte, in dem sich ein paar Groschen befanden: »Edler Fürst, spendet für die armen Seelen der Sünder, die seit tausend Jahren im Fegefeuer sind und deren Schreie Ihr trotz allen Lärms um uns herum hören könntet, befände das Fegefeuer sich nicht mitten in der Erde.«
Und der Bettler setzte wieder ein und rief: »Edler General!«, während der Kapuziner wiederholte: »Edler Fürst!«
Daraufhin gab Manhès zu verstehen, dass er etwas sagen wollte, und beide verstummten.
»Mein Freund«, sagte Manhès zu dem Kapuziner, »wenn die Seelen seit tausend Jahren im Fegefeuer ausharren, können sie auch noch einige Tage länger warten, während dieser Bedauernswerte seinen Worten zufolge seit zweiundsiebzig Stunden nichts zu essen bekommen hat, und wenn das wahr ist, dürfen wir keine Sekunde verlieren, um ihn vor dem Hungertod zu bewahren.«
Daraufhin nahm er dem Mönch den Geldbeutel aus der Hand, öffnete ihn und leerte den Inhalt in den Hut des Bettlers; dann gab er ihn dem vor Staunen wortlosen Mönch zurück und rief dem Postillion zu: » Avanti! Avanti! «
Der Postillion trieb die Pferde zum Galopp an und hielt erst an, als sie das Hotel La Vittoria erreichten.
110
König Joseph
Als die zwei jungen Männer am nächsten Tag ihr Mittagessen beendeten, brachte ihnen ein reitender Bote folgende Depesche des Kriegsministers:
Herr Graf,
ich erwarte Sie heute gegen drei Uhr nachmittags, um Sie seiner Majestät vorzustellen, die gestern Abend meine kühnsten Wünsche vorwegnahm, indem sie den Wusch äußerte, Sie kennenzulernen. Nach der Rückkehr aus dem Königspalast werden wir zu Abend speisen. Ich werde Sie meiner Tochter vorstellen, der Herzogin von Lavello, die Sie kennenzulernen wünscht.
Ich bitte Sie, Ihrem Freund Hauptmann Manhès, dessen Adresse mir nicht bekannt ist, die nachfolgende Einladung zu übermitteln, die Sie beide, wie ich hoffe, zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags in meinem Haus versammeln wird.
René reichte Manhès den zweiten Teil des Schreibens, woraufhin dieser erwiderte, er werde sich wie sein Freund geehrt fühlen, der Einladung des Ministers Folge zu leisten.
König Joseph, das Familienoberhaupt, der sein Erstgeburtsrecht Napoleon abgetreten hatte, weil er dessen herausragende Fähigkeiten anerkannte, war vierunddreißig Jahre alt, von sanfter und wohlwollender Miene und von ebenso friedfertigem Charakter, wie sein nächstjüngerer Bruder streitlustig war. Er war der Erste der Brüder Napoleons, denen dieser einen Thron verlieh, doch man darf nicht vergessen, dass Joseph – ob als Herrscher oder als schlichter Bürger – von allen Brüdern Napoleons immer derjenige blieb, der seinem Bruder die größte Treue und Hingabe bewies.
Es gibt kaum eine merkwürdigere Lektüre als
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