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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Auths-Hana das Hirn ausgepickt?«
    »Es ist wahr, Fräuja! Es ist die Milch der Jungfrau Maria.
    Ich habe sie einer Äbtissin gestohlen, die nicht würdig war, sie zu besitzen.« Zum Beweis hielt ich die Phiole hoch.
    »Aber es war nur ein einziger Tropfen. Mehr kann ich dir nicht geben.«
    Wyrd versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht, tief genug durchzuatmen. Stattdessen stieß er den
    gotteslästerlichsten Fluch aus, den ich ihn jemals
    aussprechen gehört hatte. »Im Namen der weggeworfenen
    und niemals erretteten Vorhaut des beschnittenen Svans Jesus! Du hast Magie an mir versucht?«
    »Magie? Ni allis. Die Milch war ein echtes Reliquium. Ein heiliger Schatz wie dieser hat die Macht...«
    »Eine Reliquie«, sagte er säuerlich, »hat haargenau so viel Macht und Gültigkeit wie das von einem Wahrsager
    prophezeite Schicksal oder die von einem Magier
    hergesagte Zauberformel. Unter den Einfältigen, die daran glauben, mag jede noch so billige und läppische Zauberei Wunder wirken. Aber gegen die Hundswoths hilft nichts, Junge. Ich fürchte, du hast deinen Schatz umsonst
    verschwendet.«
    »Die Hundswoths? Ich hatte es befürchtet, aber du hast gesagt...«
    »Daß ich mich nicht infiziert hätte? Das dachte ich auch, als die Bißwunde so gut verheilte. Aber ich habe mich
    getäuscht. Ich kannte einen Fall, in dem es volle zwölf Monde dauerte, bis die Tollwut ausbrach.«
    »Aber... aber... was können wir tun? Wenn selbst die Milch der Heiligen Jungfrau machtlos ist... «
    »Nichts, außer der Plage ihren Lauf lassen. Und du, du hältst gehörigen Abstand von mir. Lege dich in sicherer Entfernung schlafen, denn wenn ich wieder anfange, zu
    toben und zu geifern, kann der kleinste Tropfen meines Speichels dein Todesurteil bedeuten. Und ich werde wüten und Unsinn reden und Krämpfe erdulden müssen, die mir
    die Knochen brechen können, und dann wieder wie tot
    daliegen. Entweder bricht mir einer dieser Krämpfe mein Genick oder mein Rückgrat, oder sie treten mit etwas Glück irgendwann weniger häufig auf und verschwinden endlich ganz. Bis dahin... « Er zuckte mit den Achseln.
    »Aber jetzt, jetzt bist du bei Sinnen«, sagte ich, »und sprichst sehr klar.«
    »Das wird gelegentlich auch vorkommen.«
    »Nun... «, ich zögerte. »Ich weiß, daß dir Religion und Magie ein und dasselbe sind. Aber... solange es noch geht...
    könntest du nicht einmal beten? Dieses eine Mal
    wenigstens?«
    »Skeit!« schnaubte er verächtlich. »Zaubersprüche, sonst nichts. Gebete sind so nichtssagend wie das Sonivium
    Tripudium eines Auguren. Ne, Junge. Es wäre verlogen,
    jetzt, da ich in Not bin, das Mitleid eines Gottes zu erflehen, nachdem ich es, als ich gesund und stark war, nicht getan habe. Gerade jetzt soll ich klein beigeben? Geh. Geh und schlaf.«
    Ich tat wie mir geheißen und breitete mein Fell in einiger Entfernung aus, aber immer noch so nah, daß ich es hören würde, falls er Hilfe nötig haben und nach mir rufen sollte.
    Ich fand wenig Ruhe und schreckte immer wieder hoch. Mir war klar, daß er gelogen hatte, als er von Hoffnung sprach.
    Die Tollwut ist unweigerlich tödlich; die seinen Körper zerreißenden Anfälle würden nicht immer seltener, sondern immer häufiger, und immer heftiger auftreten. Genauso kam es. Kurz vor Tagesanbruch riß mich ein inzwischen
    vertrautes, aber nichtsdestoweniger schreckliches Heulen aus dem Schlaf. Wyrds Körper war zu einem Bogen erstarrt, und, falls das überhaupt möglich war, noch schlimmer
    verzerrt als bei den bisherigen Anfällen. Jedes sichtbare Blutgefäß und jede Sehne in seinem Gesicht und Hals
    standen weit hervor, dunkelrot gefärbt und pulsierend, seine blutunterlaufenen Augen schienen aus ihren Höhlen
    springen zu wollen, und er geiferte und besabberte seinen Bart. Der Anfall dauerte länger als die beiden, deren Zeuge ich bisher geworden war. Wie er diesen Anfall überlebte, ohne daß sein Rückgrat zerbrach oder eine Vene oder ein Organ platzte, war mir ein Rätsel. Aber nach allen Attacken, die er an diesem fürchterlichen Tag überstand, brach Wyrd zumindest eine kurze Zeitlang zusammen und konnte sich erholen. Dabei schlug seine Gesichtsfarbe von einem Tiefrot in ein leichenhaftes Grau um.
    Wenn ihn in diesen Momenten nicht sofort der Schlaf
    übermannte, kämpfte er um seinen Atem und versuchte zu sprechen aber nur zu sich selbst. Er schien mich ganz und gar vergessen zu haben, stattdessen sprach er von lange vor meiner Zeit liegenden Tagen. Seine

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