Der Greif
für mich und die Fährleute und genug Futter für Velox. Nicht nur Heu, sondern auch Korn. Auf ihn warten große
Anstrengungen. Wurde er auch jeden Tag ausreichend
bewegt, während ich hier war? Er wird auf der Fahrt lange still stehen müssen.«
»Euer Hoheit, ich bitte Euch!« protestierte Amalrich, tief getroffen.
»Ich weiß, ich weiß. Die Frage war überflüssig.
Entschuldigt mich. Ich bin sicher, Ihr habt alles Nötige veranlaßt. Bevor ich aber gehe, rechnet bitte zusammen, was ich Euch schulde.«
Ich verließ Vindobona aus freien Stücken, niemand hatte mich gezwungen, noch war die Entscheidung einem
momentanen Gefühl entsprungen. Aber ich begrüßte den
Anlaß. Weder Thornareichs noch Veleda würden es
bedauern, Vindobona zu verlassen. Ich legte keinen Wert darauf, dieses Weibsstück Dengla wiederzusehen. Was die Frauen und Mädchen anging, die meine Freunde, oder auch mehr, geworden waren... nun, wo immer ich auch hinging, würde es gewiß noch mehr von ihnen geben.
Ich war bereit und begierig darauf, wieder zu reisen. Und ich freute mich darauf, meine Freundschaft mit Thiuda
aufzufrischen und endlich unter meinesgleichen, unter
Goten, leben zu können. Und ihrem - meinem - neuen König meine Gefolgschaft anbieten zu können. Schon lange
brannte ich darauf, endlich in einem richtigen Krieg zu kämpfen. Ohne den leisesten Zweifel und ohne einen Blick zurück begrub ich meine Existenz als Thornareichs und -
zumindest vorläufig - als Veleda. Es war Thorn, der in der Morgendämmerung des nächsten Tages einen Kahn bestieg
und alsbald von den auf der Donau liegenden Morgennebeln verschluckt wurde.
Unter Goten
1
Unsere Reise stromabwärts verlief angenehm geruhsam.
Die Donau machte nach Vindobona zunächst einen Bogen
nach Osten, um dann ein paar Tage später wieder nach
Süden zu fließen. Sie trug mich, Velox und die Bootsleute schnell in den goldenen Sommer hinein, der sich immer
weiter nach Norden ausbreitete.
Unterwegs kamen wir nur an zwei größeren Siedlungen
vorbei, die beide am rechten Flußufer lagen. Die erste befand sich in der Provinz Valeria kurz nach der Stelle, wo die Donau den großen Bogen nach Süden macht. Es
handelte sich um die ehemalige Grenzstadt Aquincum, von der nur noch zerfallene Ruinen übriggeblieben waren. Wie der Bootsführer Oppas mir erklärte, war Aquincum im
Verlaufe der letzten hundert Jahre so oft von plündernden Hunnen und anderen barbarischen Horden verwüstet
worden, daß Rom seine zweite Reservelegion Adiutrix aus der Festung abgezogen hatte; daraufhin hatten auch die einst so zahlreichen Einwohner die Stadt verlassen.
Die zweite Siedlung, an der wir vorüberfuhren, war der Kriegshafen Mursa an der Einmündung der Dräu in die
Donau. Mursa bestand lediglich aus Kais, Piers,
Trockendocks, Werkstätten, Warenlagern,
Getreidespeichern und vielen tristen Baracken. Ein
Wachposten gab uns von einem Turm aus energische
Fahnenzeichen. Die Bootsleute steuerten uns in die Nähe des Turms und hielten den Kahn dort an. Der Posten lehnte über die Brüstung, um uns auf Geheiß des Flottenführers den Rat zu geben, nicht weiter stromabwärts zu fahren.
Weiter südlich, sagte der Posten, drohten Gefahr und
Chaos. Die wilden Sarmaten, die am anderen Ufer der
Donau über Altdakien herrschten, und die Ostgoten aus
Moesia Prima am diesseitigen Ufer kämpften um die
strategisch wichtige Stadt Singidunum, die vielleicht schon bald der Ruinenstadt Aquincum gleichen würde. Die Römer hatten ihrer pannonischen Flotte deshalb befohlen, den Donauabschnitt zwischen Mursa und dem Eisernen Tor,
einer weiter stromabwärts gelegenen Flußenge, nicht mehr zu befahren. Von jenseits der Flußenge bis zum Schwarzen Meer, so der Posten, stünden alle Schiffe natürlich unter dem Schutz der mösischen Flotte; auf den fünfhundert
römischen Meilen von hier bis zum Eisernen Tor sei die Donau jedoch ungeschützt, und jedes Handels-, Fracht-oder Passagierschiff befahre diesen Teil des Flusses auf eigenes Risiko.
Singidunum, das Ziel meiner Reise, lag ziemlich genau in der Mitte dieses Abschnitts. Während des Wortwechsels mit dem Wachposten hatte ich begonnen, mein Kurzschwert mit einem Wetzstein zu schleifen. Mechanisch fuhr ich mit dem Stein über die Klinge. »Wenn andere Schiffe diesen Rat befolgen und sich verstecken«, sagte ich zu Oppas, »dann bleibt ihre Fracht liegen und verdirbt vielleicht sogar. Du würdest für ihre Beförderung auf dem Rückweg wohl
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