Der Greif
etwas Merkwürdiges vor sich ging. Von ein paar
vereinzelten Baumgruppen abgesehen, war das Tal nur mit Gras und niedrigen Büschen bewachsen; ich konnte also
deutlich erkennen, was sich ungefähr drei Stadien unter mir ereignete. In zwei gegenüberliegenden, knapp dreihundert Schritte voneinander entfernten niedrigen Wäldchen hatte jeweils eine Gruppe von Männern Deckung bezogen.
Zwischen den beiden Gruppen flogen ununterbrochen Pfeile hin und her. Ich konnte nicht ausmachen, wieviele Männer an dem Kampf beteiligt waren, aber ich zählte ungefähr zwanzig Pferde in voller Kriegsausrüstung, die jeweils auf der geschützten Seite der Wäldchen angebunden waren.
Schließlich schien die eine Partei des vergeblichen
Schußwechsels müde zu werden. Ungefähr zwanzig Männer
stürmten aus der Deckung hervor und griffen mit gezogenen Schwertern an. Zwei von ihnen wurden sofort von Pfeilen getroffen. Sie stürzten zu Boden und krümmten sich. Die Männer der Gegenseite wagten es nicht, ihre Deckung zu verlassen und sich den Angreifern in einem offenen
Schwertkampf zu stellen. Sie schössen auch keine Pfeile mehr ab, sondern tauchten plötzlich am hinteren Ende des Wäldchens auf, sprangen auf ihre Pferde und flohen in die entgegengesetzte Richtung.
Damit wußte ich, wer die Ostgoten und wer die Sarmaten waren. Ich konnte es aus der Tatsache schließen, daß die eine Gruppe sich nicht auf einen Schwertkampf einlassen wollte. Die Angreifer schwangen die schrecklichen
Krummschwerter der Goten, vor denen bereits die tapfersten Feinde die Flucht ergriffen hatten. Ich konnte auch
erkennen, daß die Männer, die flohen, Schuppenpanzer aus Pferdehufspänen trugen, wie sie mir der alte Wyrd als
Erfindung der sarmatischen Krieger beschrieben hatte. Die Fliehenden waren also auch meine Feinde.
Ich trieb Velox an und galoppierte schräg den Kamm
hinunter, um den Sarmaten den Weg abzuschneiden, bevor sie die freie Fläche überqueren und in den umliegenden Wäldern verschwinden konnten. Als ich in ihre Nähe kam, drehten sie sich um und sahen überrascht zu mir herüber, einem einsamen Reiter ohne Rüstung und von
undefinierbarer Herkunft. Aus ihrer Neugier wurde bald Zorn, Verblüffung und Angst, als ich aus dem Galopp Pfeile auf sie abzuschießen begann.
Keiner der Sarmaten machte auch nur den Versuch, einen Pfeil auf mich zu schießen; damit hatte ich auch nicht gerechnet, denn außer den Hunnen, die mit ihren
Säbelbeinen beim Reiten wahrscheinlich mehr Halt haben, war es noch keinem Krieger gelungen, vom Rücken eines
galoppierenden Pferdes aus ein Ziel zu treffen. Oder
vielleicht sollte ich besser sagen, keinem Krieger außer den Hunnen und mir, da mich das Fußseil, das ich erfunden
hatte, fest und sicher im Sattel hielt. Außerdem hatte mir Wyrd erklärt, nur wenn man mit einem hunnischen Bogen
wie dem, den ich von ihm geerbt hatte, auf ein weit
entferntes Ziel schieße, habe der Pfeil genug Wucht, um einen sarmatischen Schuppenpanzer zu durchdringen.
Die fliehenden Männer hätten anhalten, absteigen und
dann auf mich schießen können. Auf diese Weise hätten
sich ihre Chancen, mich zu treffen und zu töten, beträchtlich erhöht, da ich ja keine Rüstung trug. Als ich mich im Sattel umdrehte und zurücksah, begriff ich jedoch, warum sie das nicht taten. Vier Ostgoten hatten sich auf ihre Pferde geschwungen und ritten nun geradewegs auf mich zu. Sie hielten lange Wurfspeere in den Händen. Sie trugen keine Schuppenpanzer, sondern feste Lederharnische an denen
gesteppte Lederröcke befestigt waren. Über niedrigen
Stiefeln trugen sie gepolsterte, kreuzweise mit Riemen geschnürte weiße Beinkleider. Ihre Helme liefen nicht
konisch zu wie die der Sarmaten, sondern ähnelten eher den römischen Helmen; allerdings hatten sie breitere
Wangenlappen, und am vorderen Rand setzte ein flaches
Stück Metall an, das die Nase schützte. Alles, was man vom Gesicht eines ostgotischen Kriegers sehen konnte, waren die wilden blauen Augen und der wallende gelbe Bart. Ich zügelte Velox und wartete auf die Männer.
Einer von ihnen gab den drei anderen ein Zeichen, worauf diese ihre Lanzen in die Sarmaten bohrten, die ich vom Pferd geschossen hatte, um sicherzugehen, daß sie auch wirklich tot waren. Der andere brachte sein Pferd neben mir zum Stehen und senkte seine Lanze in die Halterung am
Sattel, um mich begrüßen zu können. Zum Gruß erhob er
den rechten Arm und hielt dabei die offene Hand
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