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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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steif
    ausgestreckt. Er ballte also nicht wie die Römer die Faust.
    Ich hielt ihn für den Anführer der Truppe, da sein Helm mit Ornamenten verziert war; außerdem trug er auf den
    Schultern seines Harnischs jeweils eine reich mit Juwelen besetzte Fibel in Form eines sprungbereiten Löwen. Ich erwiderte seinen Gruß auf dieselbe Weise, woraufhin er mich eine Zeitlang eingehend musterte.
    Er war eine stattliche, mächtige Erscheinung, wie er mit Helm und Bart und in seiner prächtigen Rüstung aufrecht auf dem Rücken seines durch eine gepolsterte Decke
    geschützten Pferdes saß. Unter seinem Blick fühlte ich mich klein und verletzlich, so wie sich die kleinen Tiere des Waldes gefühlt haben müssen, die weit entfernt von ihren Höhlen oder einem nahegelegenen Schlupfwinkel meinem
    jagenden Adler Juikabloth ins Auge fielen. Dann jedoch wich die furchteinflößende Miene des Kriegers plötzlich einem Lachen, und er sagte: »Zuerst dachten wir, du seist ein durch die Gegend ziehender Hunne, und zwar einer, der
    verrückt geworden ist, weil er allein und ohne Rüstung anzugreifen wagt. Dann sahen wir jedoch das Fußseil, das dich in die Lage versetzt, während des Reitens den Bogen zu benutzen, was du dann auch so geschickt wie ein Hunne getan hast. Ich habe mich früher einmal über dein Fußseil lustig gemacht, aber ich werde es nie wieder tun.«
    »Thiuda!« rief ich aus.
    »Wailagamotjands! Willkommen in den Reihen unserer
    Krieger Thorn. Ich habe dir angeboten, dich uns
    anzuschließen. Das hast du getan, und du hast dich seit deiner Ankunft wirklich wacker geschlagen.«
    »Das scheinst du ebenfalls getan zu haben«, sagte ich,
    »da du offensichtlich inzwischen ein Anführer geworden bist.
    Auch dein Bart ist seit unserem letzten Zusammentreffen bewundernswert gewachsen.«
    »Wir beide haben uns sicher viel zu erzählen. Komm, reite mit mir in die Stadt, dann können wir uns unterwegs
    unterhalten. Warst du die ganze Zeit über in Vindobona?
    Wenn ja, dann hat der edle Thorn dort wohl sehr viel
    Gastfreundschaft genossen.«
    »Das hat er, danke«, sagte ich lächelnd. »Anders kann
    man es nicht sagen. Mein Dank gilt dir. Es wäre mir dort nicht so gut gegangen, wenn du mir nicht den Weg geebnet hättest. Aber ich würde lieber hören, was du alles erlebt hast. Hast du deinen Vater gefunden? Begleitet er dich auf diesem Feldzug?«
    »Ja, ich habe ihn gefunden, aber er ist nicht bei mir. Ich bin froh, daß ich ihn noch gesehen habe. Ein Fieber hatte ihn befallen, und er starb kurze Zeit darauf.«
    »Väi, Thiuda, das tut mir leid.«
    »Mir auch. Er wäre viel lieber im Kampf gestorben.«
    »Reitest du deshalb als Kundschafter aus, weil du den
    Kampf suchst? Bist du deshalb nicht bei den Truppen, die Singidunum belagern?«
    »Nein, das Kundschaften gehört zur Belagerung. Wir sind nur sechstausend Mann, und König Babai verfügt in der
    Stadt über neuntausend Sarmaten. Außerdem mußten wir
    sehr schnell hierher reiten und konnten daher nicht mehr Waffen mitnehmen, als wir tragen konnten. Wir haben kein Belagerungsgerät, keine Belagerungstürme und keine
    Rammböcke dabei, um Singidunum im Sturm zu nehmen.
    Es war deshalb das Beste, die Stadt samt Babai und seinen Männern einzuschließen. Und damit sie nicht zur Ruhe
    kommen, lassen wir in unregelmäßigen Abständen Pfeile, Steine und Brandkugeln auf sie niederhageln. Daneben
    erkunden wir die Gegend, um zu verhindern, daß Babai von irgendwoher Verstärkung erhält oder wir von hinten
    angegriffen werden. Im Augenblick können wir sonst nichts tun.«
    »Bithus contra Bacchium«, sagte ich. Das war eine weitere modische Redewendung, die ich bei meinen vornehmen
    Bekannten in Vindobona gehört hatte. Die beiden Namen
    bezeichneten zwei berühmte Gladiatoren früherer Tage, die gleich alt, gleich stark und gleich geschickt waren, so daß keiner den anderen besiegen konnte. Thiuda hätte sich über meine freche Bemerkung ärgern können, er mußte jedoch
    meiner Einschätzung zustimmen.
    »Ja«, knurrte er, »und es ist gut möglich, daß es noch verdammt lange so bleibt oder, noch schlimmer, daß wir nicht lange genug durchhalten. Unsere Vorräte an
    Nahrungsmitteln und anderen notwendigen Dingen sind
    nicht allzugroß, während die Sarmaten über Korn und
    Getreide im Überfluß verfügen. Wenn wir nicht bis zum
    Eintreffen des Nachschubs aus dem Süden durchhalten,
    müssen wir uns möglicherweise zurückziehen. In der
    Zwischenzeit lagern unsre Haufen vor

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