Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
der Stadtmauer, oder sie streifen zu Pferd durch die Gegend. Du weißt ja, wie sehr mich untätiges Herumsitzen aufreibt, deshalb versuche ich, mit jedem Spähtrupp mitzureiten. Wie du gesehen hast, gibt es ab und zu etwas für uns zu tun.«
    »Ich konnte nur vom Fluß aus einen kurzen Blick auf
    Singidunum werfen«, sagte ich. »Die Stadt sah nahezu
    uneinnehmbar aus. Wie haben die Sarmaten es überhaupt
    geschafft, sie zu erobern?‹
    »Durch einen Überraschungsangriff«, sagte Thiuda
    verstimmt. »Sie war nur mit einer ausgedünnten Garnison römischer Truppen besetzt. Allerdings hätten diese paar Mann zusammen mit den Bewohnern in der Lage sein
    sollen, eine so günstig gelegene und stark befestigte Stadt zu halten. Der Legat der Garnison muß entweder ein
    unfähiger Trottel oder ein wirklicher Verräter gewesen sein.
    Er heißt Camundus, und das ist kein römischer Name; er ist also fremder, womöglich sogar sarmatischer Abstammung.
    Wer weiß, ob er nicht schon länger heimlich mit König Babai paktiert. Aber egal, ob Camundus ein Narr oder ein
    Überläufer ist, wenn er sich noch in der Stadt aufhält, bringe ich ihn und Babai um.«
    Insgeheim hielt ich Thiudas Worte für etwas überheblich.
    Er tat so, als habe er allein die Verantwortung für den ganzen Feldzug der Ostgoten gegen die Sarmaten. Ich
    sagte jedoch nichts, und da er mich mit Fragen überhäufte, berichtete ich ihm so manches, was ich in Vindobona erlebt hatte. Natürlich schilderte ich ihm nur was Thornareichs getan hatte; von Veleda erzählte ich nichts. Schließlich hatte unsere kleine Schar den Stadtrand von Singidunum erreicht.
    Wir befanden uns am Fuß des Hügels, der am Ufer aufragte.
    Jetzt, wo ich Singidunum aus der Nähe sah, konnte ich mir eine bessere Vorstellung von den Schwierigkeiten machen, die die Ostgoten bei der Belagerung hatten.
    Wie in Vindobona und den meisten anderen Städten
    stellten auch in Singidunum die Außenbezirke den ärmeren Teil der Stadt dar. Hier befanden sich die Häuser der
    einfacheren Bewohner, kleine Werkstätten, Lagerhäuser, Märkte, billige Garküchen und ähnliches. Die Festung der Garnison, die vornehmeren öffentlichen Gebäude, die
    besseren Handelshäuser, die luxuriöseren Tavernen und
    Herbergen sowie die Residenzen der reicheren Bevölkerung lagen oben auf dem Berg. Wie ich bereits gesagt habe, war der gesamte Hügel von einer Mauer umgeben, und jetzt
    konnte ich auch sehen, daß die Mauer aus fest
    zementierten, riesigen Steinblöcken bestand und
    unbezwingbar hoch war. Als Thiuda, seine Männer und ich vom Flußufer aus die Hauptstraße hinaufritten, konnte ich weder einen Dachfirst noch irgendeine Kuppel oder
    Turmspitze über der Mauer hervorragen sehen. In die Mauer war zudem nur ein einziger Zugang eingebaut, auf den die Straße, die wir hinaufritten, geradewegs zuführte. Das große, gewölbte, doppelte Tor bestand zwar nur aus Holz, war jedoch aus extrem dicken Balken gezimmert, die
    wiederum von äußerst massiven Eisenbeschlägen
    zusammengehalten wurden; zudem war es über und über
    mit verstärkenden Eisenbossen versehen und sah daher
    nicht weniger unzerstörbar aus als die Steinmauer.
    Unter den Menschen, die die Straßen bevölkerten,
    befanden sich ebenso viele Ostgoten wie Stadtbewohner.
    Das alltägliche Leben schien in Singidunum seinen
    gewohnten Gang zu nehmen; mir fiel jedoch auf, daß keiner der Stadtbewohner uns ein Lächeln oder einen Gruß
    zukommen ließ, als wir vorbeiritten. Als ich Thiuda
    andeutete, daß ich nicht den Eindruck hätte, als ob uns die Bevölkerung jubelnd als willkommene Befreier begrüßte, sagte er:
    »Nun, das ist verständlich. Wenigstens haben sie nicht allzuviel dagegen, daß wir uns in ihren Hütten einquartiert haben. Viel mehr können sie uns nicht anbieten. Babai hat ihre Speisekammern, Keller und Läden geplündert und all ihre Nahrungsvorräte in den Stadtteil hinter der Mauer mitgenommen; die Leute hier sind also genauso hungrig wie wir. Ich weiß nicht, ob der reichere Teil der Bevölkerung innerhalb der Mauer sonderlich begeistert darüber ist, die Sarmaten beherbergen zu dürfen; die Leute hier unten sind jedenfalls gleichermaßen zornig auf Babai, weil er ihre Stadt eingenommen hat, auf Camundus, weil er es dazu kommen
    ließ, und auf uns, weil wir nicht in der Lage sind, viel zur Verbesserung der Situation beizutragen.«
    Ich sagte mit der angemessenen Bescheidenheit: »Ich
    bezweifle, daß ich noch irgend etwas tun kann, was

Weitere Kostenlose Bücher