Der Greif
würden. Meine
Vermutung erwies sich als richtig. Die eine Wache murmelte der anderen zu: »Geh und hol den Fauragagga!« Mich
forderte er schroff dazu auf, auf den Höfling zu warten, der mich dann hineinbegleiten würde. Während ich draußen vor dem Tor wartete, musterte die Wache mich eingehend von Kopf bis Fuß; sein Blick war jedoch weniger mißtrauisch, als etwas skeptisch.
Auf dem Weg vom Palast zum Tor, näherte sich uns ein
Höfling, ein sehr alter, gebeugter Mann mit einem langen weißen Bart, der am Stock ging und trotz der sommerlichen Hitze eine schwere, bodenlange Robe trug. Er stellte sich mir als der Fauragagga Costula vor und verbeugte sich, als ich ihm den Brief durch das Tor reichte. Dann erbrach er das Wachssiegel, rollte das Pergament auseinander und las es bis zum Schluß durch, wobei er mir gelegentlich mit
hochgezogenen, weißen Augenbrauen einen kurzen Blick
zuwarf. Schließlich verneigte er sich erneut, gab mir den Brief zurück und befahl den Wachen: »Öffnet das Tor,
Wachmänner, und erhebt eure Speere, um den Saio Thorn, den Marschall unseres Königs Theoderich, zu begrüßen!«
Sie befolgten seinen Befehl, und ich marschierte so aufrecht ich konnte zwischen den beiden Wachen hindurch, die mich dennoch wie die Klippen des Eisernen Tores überragten. Als wir zusammen den Weg zum Palast hinaufgingen, nahm der Höfling mich freundlich beim Arm, stutzte jedoch plötzlich, zog seine Hand wieder von meinem Ärmel zurück und
wischte sie an seiner Robe ab.
»Entschuldigt, daß ich so feucht bin, Costula«, sagte ich verlegen »Der Fluß war sehr naß.« Er warf mir einen kurzen Seitenblick und mir wurde schlagartig bewußt, daß diese Worte aus dem Mund eines Marschalls außerordentlich
dumm geklungen haben mußten; daher wechselte ich
schnell das Thema und fragte: »Wie habe ich Prinzessin Amalamena zu begrüßen und anzureden?«
»Eine respektvolle Verbeugung genügt, Saio Thorn; und
Ihr könnt sie einfach mit Prinzessin ansprechen, bis sie Euch anbietet, sie Amalamena zu nennen, was sie wahrscheinlich tun wird. Sie verlangt nicht, mit so hochtrabenden Titeln wie Augusta oder Maxima angesprochen zu werden, wie sie bei den Römern üblich sind. Ich möchte Euch jedoch um einen Gefallen bitten, Saio Thorn. Würde es Euch etwas
ausmachen, eine Zeitlang in einem Vorzimmer zu warten?
Ich muß der Prinzessin Eure Ankunft melden, und sie muß erst aufstehen und sich ankleiden, bevor sie Euch
empfangen kann.«
»Sie muß erst aufstehen? Mitten am Nachmittag?«
»Oh väi, sie ist keine verschlafene Schlampe. Sie ist seit einiger Zeit krank und steht unter der Obhut eines Arztes.
Sagt ihr jedoch nicht, daß ich Euch das erzählt habe.
Amalamena ist die Tochter ihres Vaters und die Schwester ihres Bruders. Genauso wie sie sich weigern würde, auch nur die geringste Schwäche zu zeigen, würde sie es auch mißbilligen, von Euch Bezeugungen der Anteilnahme oder des mitleidigen Verständnisses zu hören.«
Undeutlich murmelte ich Bekundungen meines Bedauerns
vor mich hin und versicherte, daß ich nicht so taktlos sein würde, die Prinzessin auf ihre Gesundheit anzusprechen.
Der Höfling führte mich durch die große doppelte Vordertür des Palasts zu einer Liege in der Eingangshalle und bat einen Diener, mir eine Erfrischung zu bringen. Ich saß also da, nippte an einem Humpen mit gutem, bitterem, dunklem Bier und studierte meine Umgebung.
Der Palast war aus demselben roten Gestein erbaut, aus dem die Felsen des Eisernen Tores bestanden hatten. Das zweistöckige Gebäude stand in der Mitte des Grundstücks.
Gepflegte Grünflächen und Blumenbeete wurden von
schmalen Kieswegen durchzogen. Die Inneneinrichtung des Palasts war ebensowenig protzig wie seine äußere Fassade.
Seine Eingangshalle war bei weitem nicht so überreich
geschmückt wie die einer römischen Villa, und es wunderte mich nicht, daß die meisten Einrichtungsgegenstände
Jagdtrophäen waren. Die Liege, auf der ich saß, war mit dem Fell eines Auerochsen bedeckt, auf dem Mosaik des
Fußbodens lagen kleine Teppiche aus Bärenfell, und an den Wänden waren prächtige Hörner und Geweihe angebracht.
Es standen auch kunstvolle Gefäße einer mir völlig
unbekannten Art herum, riesige, elegant geformte Vasen und Urnen aus schwarzer oder zinnoberroter Keramik, auf denen anmutige Götter und Göttinnen, kleine Jungen und Mädchen beim sportlichen Spiel oder muskulöse Jäger mit ihrer Beute dargestellt waren.
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