Der Greif
Costula erklärte mir später, daß es sich um griechisches Kunsthandwerk handele, und daß die spärliche Möblierung des Raumes, die jeden
einzelnen Einrichtungsgegenstand voll zur Geltung brachte, ebenfalls eine griechische Mode sei.
Einige Zeit später öffnete sich auf der dem Eingang
gegenüberliegenden Seite der Eingangshalle eine
Doppeltür. In der Türöffnung erschien der alte Costula und winkte mich zu sich herüber. Ich setzte meinen Humpen ab, durchquerte die Halle und wurde dann von ihm in den hinter der Tür gelegenen Raum geführt. Dieser war sehr geräumig und hoch und hatte viele Fenster, durch die von draußen das helle Licht der Sommersonne hereinflutete. Auch dieser Raum hatte einen Fußboden aus Mosaik und war mit
Jagdtrophäen und griechischen Urnen geschmückt. Er
enthielt nur ein einziges Möbelstück, das neben seiner dekorativen auch noch eine zweckmäßige Funktion hatte.
An der Wand gegenüber der Tür stand ein hoher,
thronähnlicher Stuhl, auf dem eine schmale, ganz in weiß gekleidete weibliche Gestalt saß. Sie hielt Theoderichs Brief aufgerollt in den Händen; ganz so, als ob sie ihn gerade selber lese. Es überraschte mich ein wenig, daß eine Frau von einem »unkultivierten« Stamm lesen konnte, auch wenn sie von königlichem Blute war. Ich sollte zur gegebenen Zeit noch herausfinden, daß die Prinzessin nicht nur lesen, sondern auch schreiben konnte und zudem noch sehr
belesen war.
Ich schritt langsam und würdevoll auf sie zu, doch der Stuhl war sehr weit von der Tür entfernt, und all die Würde, um die ich mich so, sehr bemühte, wurde von dem
komischen Quietschen meiner feuchten Schuhe zunichte
gemacht, das der gewölbte Raum noch immens verstärkte.
Ich fühlte mich eher wie eine Wasserwanze auf einem
langen mühseligen Marsch als wie ein Marschall und
Herzog.
Die Prinzessin Amalamena hatte wohl ähnliche Gedanken, denn während ich auf sie zuquietschte, blickte sie die ganze Zeit über mit gesenktem Kopf wie gebannt auf meine Füße.
Als ich schließlich kurz vor ihrem Stuhl stehen blieb, erhob sie endlich langsam ihr Haupt. Sie lächelte freundlich, doch die Grübchen um ihren Mund zeigten, daß sie mit einem
herzhaften Lachen kämpfte. Vor Scham wurde ich
wahrscheinlich noch röter als Theoderichs Aurora, daher verbeugte ich mich so tief, daß die Prinzessin mein Gesicht nicht sehen konnte, und richtete mich erst wieder auf, als sie sagte: »Willkommen, Saio Thorn.« Sie hatte ihren Lachreiz inzwischen überwunden, lächelte jetzt nachdenklich und schnupperte dezent in die Luft. »Seid Ihr durch das Tal der Rosen hierhergekommen?«
»Nein, Prinzessin«, sagte ich durch die Zähne hindurch, denn ich mußte die Bemerkung unterdrücken, daß es sich bei ihrer Krankheit offensichtlich nicht um einen Katarrh handelte, der ihren Geruchssinn betäubt hatte. »Ich benutze eine Rosenessenz als Parfüm, Prinzessin.«
»Ach tatsächlich? Wie originell!« Ihre Grübchen zuckten, als hätte sie erneut Schwierigkeiten, ihr höfliches Lächeln aufrechtzuerhalten. »Die meisten der hier eintreffenden Gesandten meines Bruders riechen nach Schweiß und
Blut.«
Ich brauchte ihr nicht erst zu sagen, daß ich als Marschall des Königs eine recht klägliche Figur abgab; dabei hätte ich diese Amalamena so gerne beeindruckt, denn sie war so
schön wie eine Prinzessin sein sollte. Ihre Ähnlichkeit mit dem älteren Bruder war unverkennbar, aber ihre Züge waren natürlich feiner. Theoderich sah gut aus, sie aber war schön; und natürlich hatte sie auch nicht seinen kräftigen Körper, sondern war geradezu geisterhaft schlank und hatte kaum mehr Busen als ich, wenn ich Veleda war. Während
Theoderich ein typischer Gote mit blondem Haar und heller Haut war, leuchtete Amalamenas Haar silbriggolden; ihre Lippen hatten die Farbe von Schlüsselblumen und ihre
elfenbeinerne Haut war so durchsichtig, daß ich an ihren Schläfen die Venen blau hindurchschimmern sah. Ihr Name, der »Mond der Amaler« bedeutete, paßte vortrefflich zu ihr, denn sie hätte eine Verkörperung des schmalen, bleichen, zerbrechlichen Neumondes sein können. Ihre perlene
Blässe betonte die gotischblauen Augen. Diese funkelten wie die Zwillingsfeuer, die ich einmal gesehen hatte, und es lag ein schelmischer und spöttischer Ausdruck in ihnen, als sie sagte: »Nun, Ihr seid nicht größer als ich, Saio Thorn, und wohl auch nicht älter. Auch habt Ihr keinen stärkeren Bartwuchs als ich. Vielleicht
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