Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
wieder einmal unterwegs, genauso allein und mittellos, wie ich bei meinem Abschied von Balsan
    Hrinkhen als Kind gewesen war. Meine einzige Waffe war ein gestohlenes Schwert, das wegen meiner geringen
    Körpergröße nicht sehr geeignet für mich war. Wyrds
    prächtiger hunnischer Bogen samt Pfeilen war verloren, ebenso alle meine anderen Besitztümer und Habseligkeiten, außer dem, was ich in Novae zurückgelassen hatte -
    Immerhin hatte ich Amalamenas Goldkette, die ich statt Geld als Zahlungsmittel benutzen konnte. Ich könnte ihre
    einzelnen Glieder und ihr einziges noch verbliebenes
    Schmuckstück, den goldenen Anhänger mit Hammer und
    Kreuz, gegen alle unentbehrlichen Dinge eintauschen, die ich mir nicht selbst beschaffen konnte. Eine lange
    Winterreise lag vor mir, doch hatte ich solche Reisen schon früher erfolgreich hinter mich gebracht. Ich sah keine unüberwindlichen Schwierigkeiten vor mir, was die
    Rückreise zu Theoderich betraf.
    »Und welch wundersame Geschichte ich ihm dann
    erzählen darf!«
    Ich mußte das einfach laut herausschreien. Keiner außer Velox konnte mich hören, doch legte das Pferd die Ohren an und spitzte sie in meine Richtung, als ob es mir hingerissen lausche. Deshalb fuhr ich fort:
    »Wahrhaftig, ich tötete einen König, ebenso wie
    Theoderich Babai, den König der Sarmaten, tötete. Oder wenigstens habe ich einen Rivalen und Bewerber um den
    königlichen Thron der Ostgoten getötet. Vielleicht sogar mehr als das. Möglicherweise habe ich nicht nur das
    gotische Volk davor bewahrt, von diesem Tyrannen
    überwältigt zu werden.«
    Ich hatte jedoch einen guten und getreuen Kameraden
    verloren, als Odwulf fiel. Doch bedauerte ich das nicht allzusehr, denn ohne Odwulf brauchte ich wenigstens nicht mehr in Verkleidung -
    oder je nach Situation in
    verschiedenen Verkleidungen - aufzutreten. Und wenn ich bei Theoderich eintraf, würde die Tatsache, daß ich allein kam, sicherlich weniger komplizierte Erklärungen erfordern in bezug auf die Frage, wer ich war.
    Oh väi, und wer bist du denn nun eigentlich?
    Diese Bemerkung äußerte ich nicht laut, denn sie drängte sich mir aus meinem Unterbewußtsein auf. Es war eine
    innere Stimme in mir, die das zu wissen begehrte.
    Oder was bist du, daß du so bedenkenlos ein Blutbad in Kauf nimmst, um deine eigenen Ziele zu erreichen? Bist du anderen Lebewesen gegenüber wirklich so gefühllos
    geworden wie der Juikabloth? fuhr die Stimme fort.
    Bedenke, daß du Strabo prahlerisch erzähltest, du seist ein Raubvogel. Und das war auch nicht das erste Mal, daß du dich arrogant als Raubvogel bezeichnet hast.
    Ungeduldig und ärgerlich schüttelte ich diese Gedanken ab. Ich würde es nicht zulassen, daß meine sentimentale und empfindliche weibliche Natur sich einmischte, um den Stolz auf meine männlichen Taten zu trüben oder zu
    schmälern. Denn im Moment war ich immer noch Thorn.
    Thorn! Thorn!
    »Und bei allen Göttern,« schrie ich in die Welt hinaus,
    »wenn ich schon ein Raubvogel bin, bin ich wenigstens ein lebendiger und einer, der nicht eingesperrt ist!«
    Weiter sagte ich nichts. Ich trieb mein Pferd voran, um an die Donau zu gelangen und ihr flußaufwärts zu folgen.
    5
    Den ganzen Weg westlich von Constantiana bis hin zur
    Donau durchquerte ich ödes, flaches, baumloses Grasland, in dem außer mir und Velox nur noch das dürre braune Gras in Bewegung war, über das ständig ein unangenehm kühler Wind strich. Als ich schließlich das Donauufer erreichte, beschrieb der Fluß an dieser Stelle einen Knick, der meinen Kurs nach Westen kreuzte. Ich mußte mich also nun, um
    flußaufwärts weiter zu reiten, in südwestlicher Richtung orientieren. Da ich Straßen vermied, begegnete ich keinen Boten und wurde auch von keinen überholt, obwohl ich
    sicher war, daß sie im Galopp in alle Himmelsrichtungen unterwegs waren, um die Nachrichten von dem Blutbad in Constantiana und von Strabos Tod zu verbreiten. Ich hätte gerne gehört, welche Botschaften sie ins Ausland
    überbringen sollten und welche Botschaften sie von dort wieder zurückbrachten - von Zeno, von Rekitach und von den anderen Beteiligten. Dennoch war ich zufrieden, nicht auf einer jener vielbenutzten Strecken unterwegs zu sein, da möglicherweise auch Patrouillen ausgesandt worden waren mit dem Auftrag, die verschwundene »Prinzessin
    Amalamena« zu suchen, um an ihr Rache zu üben.
    Die Donau beschrieb eine Biegung, die mich immer mehr
    in direkter Linie nach Westen brachte, und so

Weitere Kostenlose Bücher