Der Greif
Schwerts«, erklärte Odwulf keuchend. »Ihr hattet keine Anweisungen gegeben... ich wußte nicht... ob Ihr... ihn jetzt schon... tot haben wolltet.«
»Ich... glaube... nicht...«, krächzte ich, nach Luft ringend, während ich mich im Amphitheater umblickte. Bei dem
allgemeinen Tumult schenkte uns kein Mensch auch nur die geringste Beachtung. Ich sagte zu Odwulf: »Ich möchte, daß Strabo noch nicht stirbt. Er soll sich aber wünschen, er wäre schon tot. Hier, lös' die Schraube und befrei' mich von dieser Handschelle. Ich brauche keine drei Hände. Nun gib mir den Degen des toten Wächters. Und leih' mir dein eigenes
Schwert und deine Kraft, um mir beizustehen.« Ich sagte ihm, was wir tun würden, und wo. »An den Knien und
Ellbogen. Es ist einfacher, Gelenke zu durchtrennen als Knochen entzwei zu schlagen.«
Strabo war immer noch bewußtlos, als wir begannen, an
ihm herumzuschneiden, doch war er auf der Stelle hellwach.
Natürlich wehrte er sich wie ein Verrückter. Er war ja auch ein gewaltiger, bärenstarker Koloß. Jedoch war er bereits geschwächt, weil ihn Odwulf bewußtlos geschlagen hatte und seine Kräfte verließen ihn noch schneller, als das Blut aus ihm herauszuströmen begann. Darüber hinaus war er
nur mit Stoff bekleidet, während Odwulf seine Rüstung trug und ich alles andere als eine schwächliche Frau war. Als daher sein Ende nahte, schrie Strabo nur noch und winselte um Gnade, genauso kläglich und nutzlos wie jeder beliebige seiner unseligen Untertanen aus Constantiana.
»Schwein-Mann«, rief ich ihm zu und keuchte, diesmal vor Anstrengung. »Bis Ihr verblutet... könnt Ihr Euch... auf allen Vieren fortbewegen. Auf Euren vier Stümpfen. Wahrhaftig, ein Schweine-Mann. Niu?«
»Kommt, Swanilda«, sagte Odwulf. »Die Menge hat sich
einen Weg gebahnt durch den Torweg dort unten. Wir
können uns auf den Stufen unter sie mischen und
unbemerkt auf die Straße gelangen.«
»Ja«, sagte ich und schaute dorthin, wo er hinzeigte.
»Unsere Pferde, Thorns Rüstung, wo ist das alles?«
»Gut versteckt und unter Dach und Fach«, sagte er
lachend. »Genauer gesagt, in einem Haus, meine ich. Direkt gegenüber vom Privateingang dieses Podiums. Von der
Familie war keiner da sie waren hier drüben, um sich die Wettkämpfe anzusehen -, deshalb dachte ich: warum
nicht?«
»Gut gemacht. Geh' schon los. Ich komme dir gleich
nach.« Ich beugte mich noch einmal über Strabo und sagte:
»Nur noch zwei Dinge.«
Seine verstümmelten Glieder zuckten nach oben, als wolle er einen Schlag abwehren. Ich nahm jedoch nur mein
Reliquien, fläschchen von der Kette um meinen Hals, öffnete den Verschluß und preßte das kristallene Glas zwischen Strabos Lippen, die inzwischen eine hellblaue Färbung
angenommen hatten.
»Hier«, sagte ich. »Das ist die einzige Absolution, die Ihr bekommen werdet. Ihr habt Euch oft genug lustig gemacht über die Milch der Heiligen Jungfrau. Nun mögt Ihr vielleicht an ihr herumnuckeln, während Ihr Eure letzten Gebete
sprecht.«
Ich stand auf und sah mich um, um sicherzugehen, daß
Odwulf außer Seh- und Hörweite war.
»Nun zu der anderen Sache«, sagte ich. »Ich gebe Euch
einen kleinen Trost mit auf Euren Weg in den Tod. Schämt Euch nicht, daß es nur eine Frau war, die Euch erschlug. Ich bin nicht Prinzessin Amalamena.« Und nun belog ich ihn bewußt, obwohl ich hoffte, daß nur die Hälfte davon nicht stimmte. »Amalamena befindet sich in Sicherheit bei ihrem Bruder Theoderich - ebenso wie der echte Vertrag, verfaßt und unterschrieben von Kaiser Zeno. Daß ich in
Gefangenschaft geriet und so lange hier festgehalten wurde, diente lediglich dazu, Euch dieses Wissen vorzuenthalten, bis es zu spät war.«
Er stöhnte verzweifelt und krächzte in Froschmanier:
»Aber wer... Ihr elendes Weibsstück... wer seid Ihr?«
Ich erwiderte schnippisch: »Mitnichten ein Weibsstück, nicht einmal eine Amazone. Ich bin ein Raubvogel. Und Ihr hofftet, von mir einen Sohn zu empfangen, niu?« Ich lachte.
»Ihr wurdet getäuscht, verhöhnt, überlistet und offenbartet schließlich Euer wahres Ich, das eines Schweine-Mannes.
Zur Strecke gebracht wurdet Ihr von einem Hermaphroditen, der sich Thorn Mannamawi nennt.«
Ich wünschte, ich könnte berichten, daß alles, was ich für diesen Tag geplant hatte, auch genauso passierte, doch sollte es leider anders kommen.
Ich verbarg das blutverschmierte Schwert, das ich an mich genommen hatte, in einer Falte meines
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