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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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hier durch diese Gegend. Doch unsere Väter hatten diese Gebiete zuvor schon mehr als hundert Jahre lang
    besessen und bearbeitet. Die Hunnen schwärmten zwar
    über unser Land und erklärten es zu ihrem Eigentum, doch ließen sie es nicht brachliegen - und das aus gutem Grund.
    Sie brauchten die Erzeugnisse aller Länder, die sie eroberten, um ihre Armeen mit Nahrung und Kleidung zu
    versorgen und es ihnen so zu ermöglichen, weiter plündernd durch Europa zu ziehen.«
    »Ja«, murmelte ich. »Das verstehe ich.«
    »Doch was wußten diese Hunnen schon davon, wie man
    es schafft, dem Boden eine Ernte abzuringen? Um den
    Boden weiterhin ertragreich zu halten, waren Menschen
    nötig, die es verstanden, auf den Feldern, in den
    Sumpfgebieten und Gewässern zu arbeiten. Obwohl die
    Hunnen unsere Könige, Krieger und jungen Männer
    zwangen, entweder mit ihnen nach Westen zu ziehen oder vor ihnen zu fliehen, gestatteten sie daher den Alten, Frauen und Kindern, ihre Gehöfte zu behalten -
    und ihre
    Ernteerträge mit den Versorgungskolonnen der Hunnen zu teilen.«
    Es entstand eine Gesprächspause, als Swanilda und die
    alte Bauhts unser Essen vom Herd nahmen und auf den
    Tisch brachten -
    Wildschweinschinken, gekocht mit
    Gänsefußgemüse, gehäuft auf die Brotfladen. Da es
    inzwischen stockdunkel geworden war und das Feuer im
    Herd die einzige Lichtquelle darstellte, nahm der alte Fillein zwei brennende Holzstücke, steckte sie in mit Schlitzen versehene Holzklötze und stellte sie als Fackeln für uns auf den Tisch. Während seine alte Frau mit einem Brotfladen nach draußen ging, dorthin, wo Made wahrscheinlich sein Essen einnahm, zapfte der alte Fillein noch Krüge voll Bier von einem Faß in einer Ecke des Zimmers, stellte sie vor uns hin und sagte mit glucksendem Lachen: »Gebt acht,
    Saio Thorn. Wir halten auch heute noch an einigen alten gotischen Bräuchen fest. Da dieses Flußdelta kein
    anständiges Korn zum Bierbrauen bietet müssen wir unser Bier bei den Händlern in Noviodunum kaufen. Ebenso
    preiswert könnten wir auch römischen oder griechischen Wein kaufen. Doch in den alten Zeiten pflegten die Starkbier trinkenden Goten die Weintrinker mit ihrem verwässerten Rebensaft als verweichlichte Schwächlinge zu verachten.
    Deswegen also...« Er kicherte wieder, hob seinen Krug und wünschte uns »Hails!« Dann nahm er die Unterhaltung
    wieder auf: »Ihr fragtet vorhin, Marschall, ob ein Mann seinem Heimatland eher Loyalität schuldig ist als seinen angestammten Vorfahren. Ich denke, daß jeder Mann das
    für sich selbst entscheiden muß. Als die Hunnen den Nicht-Kriegern unter den Ostgoten freien Abzug einräumten, damit sie ihr Leben und ihre Arbeit hier wieder aufnehmen
    konnten, lehnten die meisten unter ihnen dieses
    Zugeständnis stolz ab. Sie weigerten sich, von ihren das Kriegshandwerk ausübenden Verwandten getrennt zu
    werden, gingen mit ihnen nach Westen und entschieden sich somit für Heimat- und Besitzlosigkeit und ein oftmals
    elendes Dasein für den Rest ihres Lebens.«
    Ich sagte: »Für viele Tausende dieser Menschen war der Rest ihres Lebens nicht lang.«
    Fillein zuckte die schmächtigen Schultern und sagte:
    »Nun, einige wenige entschieden sich für die Sicherung ihres Überlebens. Sie blieben hier. Unter ihnen waren meine Urgroßeltern und andere ältere Leute, auch die Urgroßeltern der lieben Bauhts hier. Selbstverständlich kann ich diese Menschen nicht dafür verurteilen, daß sie eine solche
    Entscheidung getroffen haben. Bauhts und ich hätten sonst wahrscheinlich nie existiert. Als jedoch die nachfolgenden Generationen geboren waren, gaben sich ein paar der
    jungen Leute nicht damit zufrieden, ständig nur Handlanger für die Hunnen zu sein. Ich war einer von ihnen. Und glaubt mir, Marschall, ich sah nicht immer so aus wie jetzt.«
    Er stopfte sich das letzte durchweichte Stück Brot in den Mund und betrachtete, während er es mit dem Zahnfleisch zerdrückte, seine Hände, die er zum Essen benutzt hatte. Es waren alte Hände, ?er, gekrümmt, von dicken Adern
    durchzogen und mit Altersflecken übersät.
    »Diese Hände waren einmal jung und kräftig, und ich war der Meinung, daß sie bessere Arbeit verdient hätten als im Schlamm zu wühlen.«
    »Oh ja«, warf seine Frau ein. »Er war ein so gutgebauter strammer Mann damals, daß man ihn Fillein den Stattlichen nannte. Unserer beider Eltern hatten unsere Heirat schon arrangiert, als wir fast noch Kinder waren. Sie wollten nämlich

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