Der Greif
sichergehen, müßt Ihr wissen, daß wir hier in der Gegend bleiben würden. Doch als Fillein sich entschloß, Soldat zu werden, versuchte ich nicht, ihn umzustimmen. Ich war stolz auf ihn. Ich schwor unseren Eltern, daß ich bleiben und unserer beider Arbeit übernehmen würde, bis er
zurückkehrte.«
Die alte Frau und der alte Mann lächelten sich zahnlos, aber innig und voller Wärme an. Dann wandte er sich erneut mir zu.
»Ich machte mich also davon und schloß mich den
Truppen unseres Königs Vandalar an, der damals gegen die Vandalen ins Feld zog. Wie er und alle seine anderen
Krieger kämpften wir natürlich für die Belange unserer Unterdrücker, der Hunnen. Doch schien es zumindest eine Beschäftigung zu sein, die einem Mann besser anstand.«
Ich sagte staunend: »Ihr kämpftet... mit König Vandalar?
Aber... aber, das muß doch vor mindestens siebzig Jahren gewesen sein.«
Fillein sagte schlicht: »Ich sagte Euch doch, ich war jung damals.«
Ebenso erstaunt wie ich bemerkte Swanilda: »Da seid Ihr und Eure Frau Bauhts ja sogar noch länger verheiratet...«
Er nickte lächelnd. »Und die meiste Zeit waren wir
zusammen, hier an diesem Ort. Ich bin froh, daß ich auf meine Zeit als Krieger zurückschauen kann. Aber ich war auch froh, als ich in der Schlacht verwundet wurde, schwer genug, um vom Soldatenleben Abschied nehmen zu müssen
- froh, zu meiner lieben Bauhts heimzukehren. Und seit dieser Zeit wohnen wir hier, hier unter diesem Dach, auf diesem Stück Land, das von den Urgroßvätern unserer
Väter besiedelt wurde.«
Die alte Frau sagte selbstzufrieden: »Wenn Thors
Hammer einmal im Kreis über den Köpfen eines Jungen und eines Mädchens geschwungen wurde, bleiben sie ihr Leben lang zusammen.«
Wieder war ich leicht gereizt, den Namen Thor erwähnt zu hören, deshalb strebte ich danach, das Thema zu wechseln.
»Wir wollen uns noch weiter zurückerinnern, sogar noch vor die Zeit der Könige Vandalar und Widereichs -«
»Nein, das wollen wir nicht«, unterbrach mich Fillein.
»Heute abend nicht mehr. Wir alten Leute sind es gewohnt, zu Bett zu gehen, sobald es dunkel ist. Dieser Zeitpunkt ist jetzt schon lange vorbei und das hier ist das Zimmer, in dem wir schlafen. Der junge Maghib liegt im Heuschober hinter dem Haus. Ihr beiden jungen Leute könnt Eure Schlaffelle auf den Speicher über dem Zimmer hier mitnehmen.«
Am nächsten Morgen wollte Fillein nachschauen, welche
Beute er in einigen Vogelfangnetzen gemacht hatte, die er kürzlich zwischen dem Schilfrohr im Sumpf ausgelegt hatte, und lud mich ein, mit ihm zu kommen. Swanilda bot an, im Haus zu bleiben und Bauhts bei einigen Näharbeiten zur Hand zu gehen, da, wie die alte Frau einräumte, ihre
Sehkraft »nicht mehr das sei, was sie einmal war«.
»Eure Kräfte, werter Fillein«, sagte ich, »sind sicher auch nicht das, was sie einmal waren. Wenn Eure Netze sehr weit weg liegen, weist uns nur den Weg, dann werden Made und ich uns darum kümmern.«
»Ich mag zwar alt sein, doch noch längst nicht so alt wie einige andere. König Ermanareichs starb ja auch erst, als er hundertzehn Jahre alt war. Er wäre sogar noch älter
geworden, wenn er nicht Selbstmord begangen hätte.«
»König Ermanareichs?« sagte ich. »Wer war das?«
Wie ich mir hätte denken können, hatte die alte Bauhts prompt einen Beinamen für ihn parat. Sie sagte, in
Erinnerungen schwelgend: »Ah, dieser Ermanareichs. Er
war der König, den viele den ›Alexander den Großen‹ des ostgotischen Volkes nannten.«
Doch hatte sie dem nichts mehr hinzuzufügen, deshalb
geduldete ich mich, in der Hoffnung, die Geschichte dieses Königs von Fillein auf unserem Inspektionsgang zu den
Netzen erzählt zu bekommen.
»Ihr fragtet nach Ermanareichs, Marschall. Als ich jung war, hörte ich von meinen Großeltern, was sie in ihrer Jugend von ihren Großeltern gehört hatten, und man sorgte dafür, daß ich es mir gut einprägte: Ermanareichs war der König, der als erster die Ostgoten aus dem fernen Norden hierher zu den Donaumündungen brachte. Damals nannte
man dieses Land hier Skythien, wie es auch jetzt noch heißt, doch wird es heutzutage nicht mehr von den degenerierten Skythen bewohnt. Um für sein eigenes Volk Platz zu
schaffen, jagte König Ermanareichs sie nach Sarmatien, wo einige wenige von ihnen immer noch auf ihre primitive, erbärmliche Art leben.«
Ich murmelte: »Ja, ich habe auch seltsame Geschichten
über diese einst so großen Skythen
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