Der Greif
ich und versuchte, die Sache mit einem kurzen Lachen abzutun. »Und es fand auch kein Duell statt.
Er ist kein Feind. Er hatte sich nur verstellt und trieb seine Späße mit uns, als er uns scheinbar so erbittert verfolgte.«
»Oh, ich hatte so gehofft, daß etwas Ähnliches
dahintersteckt!« rief Swanilda, stimmte in mein Gelächter ein und schlang die Arme um mich. »Ich bin ja so froh!«
Meirus enthielt sich eines Kommentars, doch betrachtete er mich nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen.
»Ich bin überrascht, alter Hellseher, daß Ihr nicht etwas in der Art vorhergesehen habt«, neckte ich ihn, in dem
Bestreben, einen möglichst sorglosen und ungerührten
Eindruck zu machen.
»Ich auch«, murmelte er und betrachtete immer noch
aufmerksam mein Gesicht.
Ich sah mich zu der Bemerkung veranlaßt: »Meine Blässe ist zweifellos darauf zurückzuführen, daß ich mich in der Erwartung eines Duells auf den Weg machte und diese düstere Stimmung noch nicht ganz abzuschütteln
vermochte.« Ich lachte erneut. »Doch unser vermeintlicher furchterregender Verfolger ist in Wahrheit... nun, so ziemlich genau das, für was Ihr ihn anfangs hieltet, Meirus. Ein Amtsgenosse von mir, sozusagen, der entsandt wurde, mir bei meiner historischen Suche zu helfen.«
Der Schlamm-Mann runzelte nun nachdenklich die Stirn.
Anscheinend kamen ihm meine Bemühungen, die
Befürchtungen, die alle gehegt hatten, zu zerstreuen und sie ins Lächerliche zu ziehen, reichlich übertrieben vor.
Doch Meirus sagte nur: »Dann kommt, Marschall. Kommt
herein und bedient Euch. Das Essen steht noch auf dem
Tisch.«
»Und erzähl' uns alles«, rief Swanilda vergnügt. »Wer
Thor wirklich ist und warum er hier ist.«
»Ich weiß nicht, ob es ein Zufall war«, sagte ich, »oder ob vielleicht alle Könige einfach zur selben Zeit dieselben Ideen haben. Jedenfalls beschloß Theoderichs Cousin Eurich, der König der Westgoten, drüben in Aquitanien zu fast derselben Zeit wie Theoderich, die wahrheitsgetreue Geschichte der Goten erforschen zu lassen. Und wie Theoderich entsandte auch Eurich einen Mann, der die alte Spur jener ersten nomadischen Goten zurückverfolgen sollte. Natürlich trug Eurich seinem Gesandten Thor auf, in Novae eine Pause
einzulegen, Theoderich seine Aufwartung zu machen und
seine Mission zu erklären. Und natürlich sagte Theoderich bei dieser Gelegenheit, daß ich mit demselben Auftrag
bereits unterwegs sei. Deshalb beeilte sich Thor, mich einzuholen. Wie wir inzwischen alle wissen, verpaßte er uns in Durostorum nur knapp. Doch blieb er uns auf den Fersen und kam, wahrscheinlich um seine Reise etwas
abwechslungsreicher zu gestalten, auf die Idee, einen Jux aus der ganzen Verfolgungsjagd zu machen und so zu tun, als stelle er uns aus irgendeinem düsteren, mysteriösen Grund nach.« Ich wedelte lebhaft mit dem Knochen, an dem ich genagt hatte. »Wie ich schon sagte, reine Albernheit.
Und reiner Zufall.«
»Ein unglaublicher Zufall«, knurrte Meirus. »Einschließlich der Namen Thor und Thorn.«
»Ja«, sagte Swanilda vergnügt. »War der Name Thor nur
ein Teil seines Streichs?«
»Nein«, sagte ich. »Zufall oder nicht, er heißt wirklich Thor.« Und das war das erste Mal während meines Berichts, daß ich die Wahrheit sprach - oder wenigstens einen Teil der Wahrheit. »Nun, unsere Begegnung verlief alles andere als harmonisch, zumindest am Anfang. Ich ließ mir von dem
Griechen im Gasthaus Thors Zimmer zeigen und stürmte mit gezücktem Schwert auf ihn los. Hätte er sein eigenes
Schwert in Reichweite gehabt, wäre es durchaus möglich gewesen, daß wir uns gegenseitig erschlagen hätten, bevor wir irgendwelche Erklärungen hätten abgeben können. Doch war er eben im Begriff, ins Bett zu gehen, unbekleidet und unbewaffnet, deshalb verzichtete ich darauf, den ersten Schlag auszuführen. Als er dann seine Geschichte erzählt hatte, mußten wir natürlich beide herzlich lachen.« Swanilda und Made lachten ebenfalls, als wären sie auch dabei
gewesen, doch der alte Jude stimmte nicht in ihr Gelächter mit ein. »Das ist die ganze Geschichte. Thor wird mich jetzt bei dieser Mission begleiten und -«
»Uns begleiten«, sagte Swanilda und legte ihre Hand auf meine.
Ich fuhr fort: »Wir werden zusammen weitersuchen und
von hier aus in Richtung Norden aufbrechen. Außerdem
könnte es sein - ich hatte noch keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen - daß er bereits über mir noch unbekannte Informationen
Weitere Kostenlose Bücher