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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Machenschaften der Goten gehört, nachdem sie sich hier inmitten dieser Donaumündungen niedergelassen hatten. Doch könnt Ihr
    mir auch etwas darüber erzählen, wie sie lebten - wie es ihnen auf ihrer langen Wanderung erging - bevor sie hierher gelangten?«
    »Kein bißchen«, sagte er vergnügt. »Hier, stellt diesen Topf auf das Feuer und legt den Hanf hier hinein.« Aus den Tiefen seines Wolfspelzes, den er sich jetzt wieder überzog, kramte er eine Handvoll trockene, krümelige Substanz. Ich erkannte die getrockneten Blätter und Samen der
    Wildpflanze Cannabis, wie sie auf lateinisch genannt wird, und ließ sie in den ansonsten leeren Topf fallen.
    »Doch will ich Euch folgendes sagen«, fuhr Galindo fort.
    »Das beste, was den Goten je passieren konnte - und zwar allen Goten -, war, daß sie von den Hunnen von hier
    vertrieben wurden.«
    »Was meint Ihr damit?« fragte ich, während wir
    zuschauten wie das erhitzte Kraut sich kräuselte, eine verkohlte, schwarze Färbung annahm und zu rauchen
    begann.
    »Es war ein Glück für die Goten, daß die Hunnen sie von hier fortjagten. Bis in die jüngste Zeit hinein wurden die Goten von einem Ort zum anderen gejagt und von überall vertrieben. Sie hungerten, sie dursteten, sie litten große Qualen. Diejenigen, die nicht auf dem Schlachtfeld fielen, starben an Krankheiten oder erfroren. Doch das hatte auch sein Gutes.«
    »Was meint Ihr damit?«
    Tölpelhaft hatte ich genau dieselbe Frage ein zweites Mal gestellt, geradeso, als könnte ich nichts anderes sagen.
    Nun, es fiel mir auch so schon schwer genug, diese Wörter überhaupt auszusprechen - äußerst langsam, mit großen
    Pausen dazwischen -, da sie, wie auch das, was Galindo sagte, in meinem Kopf widerzuhallen schienen.
    »Es war gut, weil diejenigen, die starben, die Schwachen und Mutlosen waren. Die Überlebenden sind die Starken
    und Mutigen. Nun, da das Römische Reich so kläglich
    zerfallen ist, wäre die Zeit reif für eine neue Blütezeit der Goten. Sie könnten größere Macht erlangen als jemals
    zuvor. Sie könnten die neuen Römer werden...«
    Der alte Einsiedler war sichtlich benebelt von seinem
    Hanfrauch und lallte dummes Zeug. Doch fühlte ich mich kaum dazu berufen, ihn darauf aufmerksam zu machen, da meine eigenen Denk- und Sprechorgane fast ebenso stark beeinträchtigt waren wie die seinen.
    »Und wenn die Goten die Römer in ihrer Eigenschaft als Herren der westlichen Welt ablösen sollten... nun... die Welt wäre sicher dankbar, daß sich die Goten zum arischen und nicht zum athanasianischen Christentum bekennen, wie es die Römer tun.«
    Zu meinem Entsetzen, denn ich befürchtete allmählich, nie wieder einen anderen Satz formulieren zu können, hörte ich mich zum dritten Mal die Frage stellen: »Was meint Ihr damit?«
    »Während ihrer ganzen Geschichte haben Europäer
    verschiedener Glaubensrichtungen einander aus diesem
    oder jenem Grund bekämpft und getötet. Doch vor dem
    Auftauchen des Christentums passierte es nie, daß Männer unserer westlichen Welt sich wegen ihrer religiösen Anschauungen bekämpften und umbrachten - und jeder
    dabei versuchte, dem anderen seine Überzeugung
    aufzuzwingen.« Galindo legte eine Pause ein, um erneut seinen fürchterlichen Rauch zu inhalieren. »Die arischen Christen dulden jedoch jede andere Religion neben der
    ihren, das Heidentum ebenso wie auch jene Menschen, die sich zu überhaupt keiner Religion bekennen. Daher würden die Goten, sollten sie siegreich sein, niemanden auf der Welt auffordern und auch von niemandem erwarten, dasselbe zu glauben wie sie.«
    Wir verabschiedeten uns ohne großes Aufhebens. Ich
    erhob mich ziemlich schwankend und wünschte Galindo
    Lebewohl. Er antwortete mir lediglich mit dem römischen Gruß, da er gerade aus voller Kehle sang. Dann taumelte ich benommen über die freie Fläche davon, quälte mich
    mühsam durch den Graben, um wieder zu Made zu
    kommen, der treu gewartet hatte und die Pferde am Zügel hielt. Ich kniff die Augen zusammen, um mich konzentrieren zu können, bevor ich es wagte, meine Stimme wieder zu
    gebrauchen, und war erleichtert, andere Worte von mir zu hören als »Was meint Ihr damit?«, obwohl ich sie nur
    krächzend von mir geben konnte: »Wir wollen zu Filieins Haus zurückkehren.« Made musterte mich prüfend. »Seid
    Ihr in Ordnung, Fräuja?«
    »Ich hoffe es«, war alles, was ich sagen konnte, denn ich hatte keine Ahnung, ob das einmalige Inhalieren von
    Hanfrauch bleibende Schäden

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