Der Greif
Gegenwart dieser herrischen Frau all seinen Mut verlor. »Wir haben alles bei uns, was wir für die Reise brauchen. Wenn wir in Pomore anlegen, brauchst du lediglich einer deiner Leibwachen zu sagen, daß sie unsere Pferde aus dem Stall holen und
gesattelt zum Hafen bringen soll, damit wir in einem
Triumphzug zum Palast reiten können. Dann werfen wir
unser Gepäck auf die Pferde... und galoppieren einfach aus der Stadt hinaus.«
»Ich darf Euch also begleiten?« rief er freudestrahlend.
»Ja, das darfst du. Ich freue mich schon darauf, dich
deinem Vater, dem König, vorführen zu können - falls wir unterwegs nicht von den Wachen abgefangen werden, die
deine Mutter uns sicherlich sofort hinterherschickt.«
»Ach«, lachte er verächtlich. »Es wird Euch und mir ein leichtes sein, diese schwerfälligen, mürrischen,
würfelspielenden, bierbäuchigen, alten Männer abzuhängen.
Oder etwa nicht, Freund Thorn?«
»Selbstverständlich, Freund Frido!« sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter.
Unsere Heimreise war viel weniger ermüdend und
beschwerlich als die Hinfahrt, denn diesmal hatten wir den Wind im Rücken und kamen daher doppelt so schnell voran.
Als eines Vormittags dann Pomore in Sicht kam, zogen die Bootsleute die Segel ein. Die Geschwindigkeit des Schiffes verringerte sich daraufhin zusehends, bis es schließlich ganz langsam in den Hafen glitt. Als ich auf den Docks eine aufgeregt winkende Gestalt wahrnahm, befürchtete ich
schon, Königin Giso hätte sich rechtzeitig von der Ankunft unseres Schiffes unterrichten lassen und würde nun bereits am Hafen auf uns lauern. Bald erkannte ich jedoch, daß es nicht die Königin, sondern mein einstiger Gefährte Maghib war, der uns da so freudig zuwinkte; daher sagte ich zu Prinz Frido: »Vielleicht können wir unseren Plan doch noch etwas ausfeilen, so daß wir ohne jedes Aufsehen aus der Stadt entwischen können.«
»Wie meint Ihr das?«
»Das weiß ich selbst noch nicht so genau; aber hör gut zu, was ich dir jetzt sage. Unser Seemann scheint deine Befehle stets zu befolgen. Sag ihm also, er soll das Schiff noch nicht fest am Dock vertäuen, sondern es nur notdürftig
festmachen und seine Ruderer startbereit halten. Dann
schick, wie besprochen, eine deiner Wachen los, um unsere gesattelten Pferde zu holen, aber schärf ihm ein, daß er sie heimlich zum Hafen bringen soll, da du deine Mutter
überraschen wolltest. Bis die Wache mit den Pferden hier eintrifft, werde ich wissen, was zu tun ist. Warte du
inzwischen hier an Bord.«
Frido stellte mir keine weiteren Fragen, sondern führte sofort meine Anweisungen aus. Als das Schiff das Dock
berührte, sprang ich über Bord und rannte auf den freudig grinsenden Armenier zu, um ihn zur Begrüßung in die Arme zu schließen. Während wir uns gegenseitig auf den Rücken klopften, sagte ich zu ihm: »Ich freue mich, dich zu sehen, Maghib. Ich nehme an, Du bist inzwischen wieder völlig gesund.«
»Ja, Herr. Ich wünschte, ich wäre schneller genesen, denn dann hätte ich früher hier sein können, um Euch mitzuteilen, daß die rugische Armee kurz nach Eurem Aufbruch durch
Lviv hindurch in Richtung Süden zog. Aber sicher wißt Ihr das inzwischen bereits.«
»Ja, ich bin über den Marsch der Rugier unterrichtet. Gibt es sonst noch irgendwelche Neuigkeiten? Vielleicht eine Nachricht von Meirus oder von Theoderich?«
»Nein, Herr. Aber Reisende haben mir unterwegs erzählt, daß sowohl Theoderich wie auch Strabo ihre Streitkräfte für einen Krieg im Frühjahr rüsten.«
»Auch das ist mir nicht neu.« Die ganze Zeit über hatte ich das Schiff nicht aus den Augen gelassen. Eine von Fridos Wachen war soeben von Bord gegangen und schlich nun in Richtung Palast. »Nun, ich habe dir schon ein paar
Kleinigkeiten zu berichten, Maghib. Deine Verletzung ist gerächt. Der heimtückische Thor wird nie mehr versuchen, dich oder sonst jemanden umzubringen.« In seiner
armenischen Redseligkeit bedachte er mich nun mit einem wahren Schwall von Dankesbezeugungen, ich unterbrach
ihn jedoch mit der Frage: »Was hat dich dazu bewogen, an diesem Morgen ausgerechnet auf unser Schiff zu warten?«
»Meine Gastgeberin Königin Giso teilte mir mit, daß Ihr zusammen mit ihrem Sohn eine Seereise unternommen
hättet, und daß Euer Schiff das einzige sei, das sich zur Zeit auf See befände Also bin ich jeden Tag zu den Docks
heruntergekommen.«
»Königin Giso ist deine Gastgeberin?«
»Wie Ihr wißt, hat mir Herr
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