Der Greif
er nur
entschieden die Tür. Es ist fast, als wolle er sagen:
›Theoderich, du kannst das umstrittene Land Pannonien
behalten. Doch hier in Venetien, an der Grenze des
Imperiums Italien, hier bestimme ich.‹«
Herduich meinte: »Das könnte ein großer Vorteil für ihn sein. Ein Heer ficht auf heimatlichem Boden immer am
verbissensten.«
Pitzias meinte: »Das heißt, daß wir mehr als sechshundert römische Meilen marschieren müssen, nur, um mit ihm
handgemein zu werden. Der Marsch wird unsere Mannen
ermüden.«
»Zumindest«, meinte Ibba, »werden wir uns nicht durch
die gesamte Strecke hindurchkämpfen müssen.«
»Wenn wir nicht die ganze Wegstrecke über kämpfen
müssen, dürfte der Marsch nicht allzu kräftezehrend sein«, meinte Soas. »Vor achtzig Jahren legte der Westgote
Alarich dieselbe Strecke zurück, und seine Streitkräfte waren wesentlich schlechter ausgestattet als unsere. Er
marschierte bis vor die Tore Roms und brach sie nieder.«
»Ja«, sagte Theoderich. »Meiner Meinung nach gibt es
keine bessere Route als diejenige, die Alarich nahm. Wir folgen der Donau bis Singidunum und dann der Save bis
Sirmium. Bis dahin haben wir ungefähr die Hälfte unserer Strecke zurückgelegt und überwintern dort. Wenn wir
weiterhin der Save durch das restliche Pannonien folgen, kann uns auf dem Durchmarsch durch Savien und Noricum
Mediterraneum nichts davon abhalten, von dem zu leben, was das Land hergibt. Am Oberlauf der Save kommen wir
nach Aemona, wo wir viel Nützliches erbeuten können. Von dort aus müssen wir bis zum Isonzo nur noch ein Flachland überqueren. Wir werden im späten Frühjahr vor Odoakers Toren stehen.«
Wir anderen murmelten zustimmend. Dann ergriff König
Fewa das Wort, und es war das erste Mal, daß ich ihn
sprechen hörte: »Ich möchte etwas bekanntgeben«, sagte er mit seinem schweren rugischen Akzent.
Wir sahen ihn alle erwartungsvoll an.
»In der Aussicht und Überzeugung, daß ich bald einen Teil des einstigen römischen Reiches regieren werde, habe ich beschlossen, meinen Namen zu romanisieren.« Er rümpfte seine kurze Nase und sah uns hochmütig an. »Von nun an möchte ich Feletheus genannt werden.«
Prinz Frido zuckte vor Verlegenheit und Überraschung
zusammen. Wir anderen starrten Löcher in die Luft und
versuchten, ein Lächeln zu unterdrücken. Fewa-Feletheus war genauso aufgeblasen wie seine Gemahlin, Königin Giso, und ich fragte mich, wie diese beiden bloß einen so
bescheidenen, liebenswerten Sohn hervorgebracht hatten.
»Euer Name sei Feletheus«, sagte Theoderich gutgelaunt.
»Doch nun, Freunde, Verbündete, Männer: Laßt uns
unserem Namen Krieger Ehre machen!«
So schwang sich Theoderich an einem herrlich frischen
Herbsttag des Monats Scheiding, der von den Goten Gairu und heute September genannt wird, im ersten Monat des
römischen Jahres 1241, im Jahr 488 nach christlicher
Zeitrechnung, in seinen Sattel, rief: »Atgadjats!«, und die Erde vibrierte unter abertausenden von Füßen und
Pferdehufen und dem Rollen vieler hundert Wagenräder, als unser mächtiger Zug gen Westen, gen Rom aufbrach.
Die ersten zweihundertundvierzig Meilen unseres
Marsches waren erwartungsgemäß nicht sehr hart, keine
Hindernisse stellten sich uns in den Weg und wir waren nicht gezwungen zu kämpfen. Das Wetter im September und
Oktober eignet sich vorzüglich zu einem solchen
Unternehmen, es ist tagsüber nicht zu heiß zum
Marschieren und nachts noch warm genug, um im Freien zu übernachten. Die Jahreszeit verdient ihren früheren Namen
»Speermonat«, denn es gibt genug Wild zum Jagen. Wir
sandten unseren Kolonnen Vorreiter voraus - oft waren auch Frido und ich darunter -, die sowohl Ausschau hielten als auch jagten. Die Vorreiter erlegten Tiere, die sich als Nahrung eigneten, und wilde Vögel, brachen Obst, Oliven und Trauben und brachten Geflügel von Bauernhöfen. Das war natürlich gegen die mit dem Kaiser getroffene
Vereinbarung, seinen hier ansässigen Untertanen keinen Tribut abzuverlangen, doch selbst Zeno hätte zugestanden, daß man Soldaten kein allzu gutes Benehmen aufzwingen
kann.
Unterwegs schlössen sich uns des öfteren zusätzliche
Trupps von Kriegern an, die uns feierten und begierig darauf waren, mit uns zu marschieren und zu kämpfen. Es waren Angehörige zahlreicher kleiner germanischer Völkerschaften
- Warnen, Langobarden, Heruler - manchmal nur eine
Handvoll, manchmal alle waffenfähigen Männer eines
ganzen
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