Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
er nur
    entschieden die Tür. Es ist fast, als wolle er sagen:
    ›Theoderich, du kannst das umstrittene Land Pannonien
    behalten. Doch hier in Venetien, an der Grenze des
    Imperiums Italien, hier bestimme ich.‹«
    Herduich meinte: »Das könnte ein großer Vorteil für ihn sein. Ein Heer ficht auf heimatlichem Boden immer am
    verbissensten.«
    Pitzias meinte: »Das heißt, daß wir mehr als sechshundert römische Meilen marschieren müssen, nur, um mit ihm
    handgemein zu werden. Der Marsch wird unsere Mannen
    ermüden.«
    »Zumindest«, meinte Ibba, »werden wir uns nicht durch
    die gesamte Strecke hindurchkämpfen müssen.«
    »Wenn wir nicht die ganze Wegstrecke über kämpfen
    müssen, dürfte der Marsch nicht allzu kräftezehrend sein«, meinte Soas. »Vor achtzig Jahren legte der Westgote
    Alarich dieselbe Strecke zurück, und seine Streitkräfte waren wesentlich schlechter ausgestattet als unsere. Er
    marschierte bis vor die Tore Roms und brach sie nieder.«
    »Ja«, sagte Theoderich. »Meiner Meinung nach gibt es
    keine bessere Route als diejenige, die Alarich nahm. Wir folgen der Donau bis Singidunum und dann der Save bis
    Sirmium. Bis dahin haben wir ungefähr die Hälfte unserer Strecke zurückgelegt und überwintern dort. Wenn wir
    weiterhin der Save durch das restliche Pannonien folgen, kann uns auf dem Durchmarsch durch Savien und Noricum
    Mediterraneum nichts davon abhalten, von dem zu leben, was das Land hergibt. Am Oberlauf der Save kommen wir
    nach Aemona, wo wir viel Nützliches erbeuten können. Von dort aus müssen wir bis zum Isonzo nur noch ein Flachland überqueren. Wir werden im späten Frühjahr vor Odoakers Toren stehen.«
    Wir anderen murmelten zustimmend. Dann ergriff König
    Fewa das Wort, und es war das erste Mal, daß ich ihn
    sprechen hörte: »Ich möchte etwas bekanntgeben«, sagte er mit seinem schweren rugischen Akzent.
    Wir sahen ihn alle erwartungsvoll an.
    »In der Aussicht und Überzeugung, daß ich bald einen Teil des einstigen römischen Reiches regieren werde, habe ich beschlossen, meinen Namen zu romanisieren.« Er rümpfte seine kurze Nase und sah uns hochmütig an. »Von nun an möchte ich Feletheus genannt werden.«
    Prinz Frido zuckte vor Verlegenheit und Überraschung
    zusammen. Wir anderen starrten Löcher in die Luft und
    versuchten, ein Lächeln zu unterdrücken. Fewa-Feletheus war genauso aufgeblasen wie seine Gemahlin, Königin Giso, und ich fragte mich, wie diese beiden bloß einen so
    bescheidenen, liebenswerten Sohn hervorgebracht hatten.
    »Euer Name sei Feletheus«, sagte Theoderich gutgelaunt.
    »Doch nun, Freunde, Verbündete, Männer: Laßt uns
    unserem Namen Krieger Ehre machen!«
    So schwang sich Theoderich an einem herrlich frischen
    Herbsttag des Monats Scheiding, der von den Goten Gairu und heute September genannt wird, im ersten Monat des
    römischen Jahres 1241, im Jahr 488 nach christlicher
    Zeitrechnung, in seinen Sattel, rief: »Atgadjats!«, und die Erde vibrierte unter abertausenden von Füßen und
    Pferdehufen und dem Rollen vieler hundert Wagenräder, als unser mächtiger Zug gen Westen, gen Rom aufbrach.
    Die ersten zweihundertundvierzig Meilen unseres
    Marsches waren erwartungsgemäß nicht sehr hart, keine
    Hindernisse stellten sich uns in den Weg und wir waren nicht gezwungen zu kämpfen. Das Wetter im September und
    Oktober eignet sich vorzüglich zu einem solchen
    Unternehmen, es ist tagsüber nicht zu heiß zum
    Marschieren und nachts noch warm genug, um im Freien zu übernachten. Die Jahreszeit verdient ihren früheren Namen
    »Speermonat«, denn es gibt genug Wild zum Jagen. Wir
    sandten unseren Kolonnen Vorreiter voraus - oft waren auch Frido und ich darunter -, die sowohl Ausschau hielten als auch jagten. Die Vorreiter erlegten Tiere, die sich als Nahrung eigneten, und wilde Vögel, brachen Obst, Oliven und Trauben und brachten Geflügel von Bauernhöfen. Das war natürlich gegen die mit dem Kaiser getroffene
    Vereinbarung, seinen hier ansässigen Untertanen keinen Tribut abzuverlangen, doch selbst Zeno hätte zugestanden, daß man Soldaten kein allzu gutes Benehmen aufzwingen
    kann.
    Unterwegs schlössen sich uns des öfteren zusätzliche
    Trupps von Kriegern an, die uns feierten und begierig darauf waren, mit uns zu marschieren und zu kämpfen. Es waren Angehörige zahlreicher kleiner germanischer Völkerschaften
    - Warnen, Langobarden, Heruler - manchmal nur eine
    Handvoll, manchmal alle waffenfähigen Männer eines
    ganzen

Weitere Kostenlose Bücher