Der Greif
morgen einen kleinen Mord zu begehen.«
2
»Mord? Unsinn!« schnaubte Zeno. »Die Tat war durchaus
berechtigt. Der Kerl war überflüssig auf dieser Welt.«
Wir Marschälle und Generäle atmeten auf. Wir hatten uns alle schon zum Tode verurteilt und von den Mauern der
Stadt baumeln sehen. Ohne auch nur das geringste
Anzeichen der Reue sagte Theoderich zum Kaiser: »Ich
rächte nur die Kränkung, die meiner königlichen Schwester zugefügt wurde.«
Er hatte mir bereits erzählt, wie er Rekitach auf der Straße getroffen, dessen »Fischgesicht« erkannt, sein Messer
gezogen und den Sohn Strabos auf der Stelle am hellichten Tag erstochen habe. »Dennoch«, sagte Zeno mit steinerner Miene, »was Ihr getan habt, ziemt sich nicht für einen römischen Konsul. Der Purpur verleiht keineswegs das
Privileg der Immunität, Theoderich. Ich kann es nicht
hinnehmen, daß mein Volk denkt, ich würde im Alter allzu nachsichtig. Und das würde es zweifellos denken, könntet Ihr weiterhin meine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.«
»Ihr wollt also, daß ich Konstantinopel verlasse, Hoheit?«
»Richtig. Und ich will, daß Ihr nach Ravenna geht.«
Theoderich hob die Augenbrauen.
»Ein Mann Eurer kriegerischen Natur verdient einen
würdigeren Gegner als einen abgetakelten Königssohn.«
»Einen König etwa?« fragte Theoderich amüsiert. »Ihr
wollt, daß ich ein Messer in den König von Rom
hineinjage?«
»Nun, zumindest könnt Ihr seine aufgeblasenen Pläne
durchkreuzen«, antwortete Zeno, und wir Begleiter
Theoderichs tauschten einen Blick. Endlich kam der Kaiser zur Sache, nachdem er sich so lange unentschlossen
gezeigt hatte.
»Odoaker hat meine Geduld lange genug auf die Probe
gestellt. Er hat sich ein volles Drittel der Ländereien in Italien angeeignet - private Ländereien, kirchliche hat er verschont, um sich die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits nicht
zunichte zu machen. Das ist schamloser Diebstahl, und nicht einmal Landlose profitieren davon. Kein Bauer wird jemals auch nur einen Morgen davon zu sehen bekommen.
Odoaker wird die Ländereien ausschließlich unter seinen Hofbeamten, Präfekten und Statthaltern aufteilen. Es ist ungeheuerlich!« Keiner von uns lächelte, obwohl wir sehr wohl wußten, daß Zeno nur vorgab, rechtschaffen schockiert zu sein. Es kümmerte ihn kein bißchen, ob Odoaker nun von reichen Römern stahl, Landlose überging oder zu seinen Höflingen allzu großzügig war. Ihn wurmte nur, daß diese Abtretungsmaßnahme Odoakers Stellung in seinem Volk
festigen würde. Die Großgrundbesitzer, denen er Land
wegnahm, waren zu wenige an der Zahl, als daß sie ihm
hätten schaden können. Der reichste Landeigentümer, die Kirche, würde ihn segnen, wenn er ihren Besitz unangetastet ließ. Die Legislatoren und Administratoren, denen er das Land übertrug wären enger an ihn gebunden und würden
seine Herrschaft sichern. Die wichtigste Folge von allem wäre, daß das gesamte gemeine Volk Italiens seinen Namen preisen würde, ganz einfach deshalb, weil die unteren
Klassen überall auf der Welt sich stets freuen, wenn jemand die Reichen erleichtert und in Unruhe versetzt, sogar, wenn sie selbst nichts davon haben.
»Ich tadelte Odoaker heftig dafür, daß er seine
Kompetenzen überschritten hat«, fuhr Zeno fort. »Natürlich antwortete er pflichtschuldigst mit den aufrichtigsten Beteuerungen seiner unverminderten Treue und
Ergebenheit und sandte mir all die römischen
Krönungsinsignien - das purpurne Diadem, die sternförmige Krone, das juwelenbesetzte Szepter und den Reichsapfel -
die unschätzbaren Herrscherinsignien, die während der
vergangenen fünfhundert Jahre jeden römischen Kaiser
schmückten. Dies tat er vermutlich, um mir zu versichern, daß er zumindest nicht nach dieser Herrschaft strebt. Ich fühle mich geschmeichelt, im Besitz dieser Insignien zu sein, aber es stimmt mich nicht versöhnlich, weil Odoaker mir immer noch unverschämt die Zähne zeigt. Er weigert sich, jene Anordnung zur Abtretung von Ländereien rückgängig zu machen. Ich duldete sein anmaßendes Verhalten schon zu lange. Jetzt will ich den Mann aus dem Wege haben. Und ich will, daß Ihr das übernehmt, Theoderich.«
»Das wird nicht leicht sein, Hoheit. Odoaker besitzt die Loyalität aller weströmischen Legionen, und er hat sich auch bei anderen westlichen Volksstämmen um Verbündete
bemüht, bei den Burgundern und den Franken...«
»Wenn es einfach wäre«, erklärte Zeno maliziös,
Weitere Kostenlose Bücher