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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ehrlos, entwaffnet und entlassen zu ihrem Stamm
    zurückzugehen. Verächtlich schlug er ihnen beim Abschied vor: »Nehmt euch eine Frau unter den Witwen eurer
    gefallenen Kameraden, laßt euch nieder und macht es euch in euren Familien bequem. Zu mehr taugt ihr nicht.«
    Wir anderen blieben noch lange genug in Vadum, um die
    Gefallenen zu begraben. Die sterblichen Überreste der
    Rugier und anderer gefallener Heiden, wie die der
    arianischen Ostgoten und Gepiden, wurden mit dem Kopf
    gen Westen begraben. Dies ist ein uralter Brauch aller germanischen Völker - viel älter als der arianische oder katholische oder irgendein anderer christlicher Glaube - der auf der Vorstellung beruht, daß die Toten so weiterhin »den Sonnenaufgang sehen können«. Die Kirche hätte solch eine heidnische Sonnenanbetung gerne abgeschafft, doch es
    gelang ihr nicht, und sie verfügte daraufhin heuchlerisch, daß Christen fürderhin mit den Füßen gen Osten begraben werden sollten, weil dies »die Richtung sei, in die Christen am Jüngsten Tag aufbrechen sollten«.
    Während die Gefallenen begraben wurden und die uns
    begleitenden Wundärzte und Geistlichen die Verwundeten versorgten, wandte Theoderich sich an mich und seine
    anderen Marschälle und Offiziere: »Jetzt haben unsere
    rugischen Verbündeten einen Burschen zum König. Was
    meint Ihr? Soll ich einen älteren und erfahreneren Mann benennen, der ihm hilft, das Kommando zu führen? Der
    Junge ist schließlich erst fünfzehn oder sechzehn Jahre alt.«
    Herduich sagte: »Ich beobachtete, wie Frido im dichtesten Kampfgetümmel die Waffe schwang. Der Junge ist zwar
    noch nicht stark genug für den Schwerthieb, aber er
    beherrscht den Stoß.«
    »Ja«, stimmte Pitzias zu. »Er verteidigte sich standhaft gegen seine Gegner.«
    Daraufhin sagte ich: »Ich habe Frido zwar noch nicht
    kämpfen sehen, doch ich kann bestätigen, daß er sich in anderer Hinsicht wie ein erwachsener Mann verhält.«
    »Ihr solltet daran denken, Theoderich«, meinte Soas, »daß Alexander, den Ihr so sehr verehrt, schon im Alter von sechzehn Jahren in Makedonien befehligte.«
    »Also abgemacht«, erwiderte Theoderich jovial. »Soll sich der Bursche beweisen! Habai ita swe.«
    So fand also, bevor wir Vadum verließen, eine Zeremonie statt, in deren Verlauf der Treueeid geschworen wurde. Der junge König schwor im Namen des Göttervaters Wotan, daß er klug und gütig über sein Volk herrschen würde, die
    rugischen Soldaten schworen, daß sie ihrem König
    gehorsam und mutig folgen würden, wohin auch immer er
    sie führe. Er fügte hinzu: »Ich nehme die Herrschaft über die Rugier an, und zugleich nehme ich einen neuen Namen an -
    aber keinen weibischen römischen Namen. Fortan bin ich Friderich, König freier Menschen.« An dieser Stelle brachen die Rugier in Hochrufe aus, und Theoderich und ich und jeder weitere Ostgote und alle unsere Verbündeten stimmten mit ein.
    Der junge Friderich führte sein erstes Kommando in
    Siscia, der nächsten Stadt auf unserer Marschroute, die an der Save in der Provinz Savien liegt. Die Bürger Siscias freuten sich genausowenig wie die Bürgerschaft von
    Sirmium als sie unser Heer anrücken sahen, und sie setzten alles daran, uns wissen zu lassen, daß wir nicht willkommen waren. Da die Stadt keine Garnison besaß, die uns hätte abwehren können, und die Stadtmauern zu schwach waren, als daß man uns hätte ausschließen können - nicht einmal ein fauler Gestank hing in der Luft, der uns vertrieben hätte -
    machte sie sich die Verteidigungstaktik einer Schnecke oder Schildkröte zu eigen: Siscia zog sich in eine harte Schale zurück und forderte uns auf, sie zu knacken.
    Seit die Stadt vor ungefähr einem halben Jahrhundert von den Hunnen geplündert und verwüstet worden war, hatte sie nie mehr ihre einstige Größe und Pracht wiedererlangt. Doch vor Attilas Zeit war Siscia eine der Städte des römischen Reiches gewesen, in der Münzen geprägt wurden und in der sich ein Schatzhaus befand. Dieses Gebäude war noch
    unverwüstet, obwohl es seinen Zweck nicht mehr erfüllte. Mit seinen dicken, fensterlosen Mauern aus Stein, seinen mit Eisen beschlagenen und mittels Schraubenbolzen
    gesicherten massiven Eichenholztoren und dem
    feuersicheren Bronzedach war dies Gebäude sogar für die Hunnen unbezwingbar gewesen. Nun hatte die Bürgerschaft in Erwartung unseres Eintreffens alles, was wir hätten beschlagnahmen können, dort eingeschlossen und eine
    Wache aufgestellt, welche

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