Der Greif
nur: »Es ist einfach, andere ihren Mut beweisen zu lassen. Georgius schickt Euch, für ihn Verrat zu begehen. Vermutlich auch Euren Bruder. Wo ist der?«
»Wer seid Ihr?« fragte der Mann mit krächzender Stimme und kniff die Augen zusammen. »Müßten wir Euch
kennen?« Als ich nicht antwortete, murmelte er: »Mein
Bruder und ich wechseln uns ab. Das brauchten wir nicht, denn es gibt viele andere Treiber. Doch wir sind stolz darauf... tun es für unser Vaterland... um mit dabei zu sein...«
»Und von Eurem mutigen Vater wegzukommen«,
bemerkte ich kühl. »Dann freue ich mich darauf, bald auch Euren Bruder kennenzulernen. Und Eure Schwester?
Beteiligt sie sich auch an diesem mutigen Unternehmen
Eures Vaters?«
»Wer seid Ihr, Mann?« Wieder antwortete ich nur mit
einem grimmigen Blick, so daß er schleppend fortfuhr: »Sie hat vor Jahren geheiratet... einen reichen Händler... sie ist von zu Hause weggegangen.«
»Schade«, sagte ich. »Sie ist zu schade für einen Händler.
Wenigstens hat sie es geschafft, von ihrer langweiligen Familie loszukommen. Ich möchte wetten, daß Ihr oder Euer Bruder nicht geheiratet habt. Georgius wird seine zwei niedrigsten Sklaven wohl kaum freigegeben haben.«
Jetzt war er derjenige, der schwieg, doch er blinzelte verwirrt, als ich ihm befahl: »Zieht Euch aus!« Dann wandte ich mich an Optio Landerit: »Sobald alle Treiber nackt sind, stopft Ihr sie statt der konfiszierten Waren in die Säcke und füllt diese mit Salz auf. Währenddessen soll Zenturio
Gudahals in mein Zelt kommen.«
Zweifellos hatte Gudahals angenommen, ich würde ihn
ebenfalls einpökeln lassen, denn sein Ochsengesicht
leuchtete auf, als ich sagte: »Zenturio, ich gebe Euch Gelegenheit, den angerichteten Schaden zu bereinigen.« Er fing an, dankbar zu blöken, doch ich gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen. »Ihr nehmt vier Reitersoldaten und reitet in gestrecktem Galopp nordwärts - die Via Popilia, die Via Claudia Augusta, das Drautal entlang durch die Alpen - bis nach Hanstaths in der Regio Salinarum, denn von dort kommen die Schmuggler.« Ich erklärte ihm
genauestens den Weg bis zur Salzmine und gab ihm eine
detaillierte Beschreibung des Georgius Honoratus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. »Ihr bringt diesen Mann hierher und übergebt ihn entweder Theoderich oder mir selbst - keinem geringeren Offizier. Georgius ist schon sehr alt, also geht sanft mit ihm um. Theoderich will den Mann bei bester
Gesundheit haben, wenn er ihn am Marterholz kreuzigen
läßt. Daher warne ich Euch: sollte es Euch nicht gelingen, Georgius zu finden oder zu stehlen, oder sollte er auf dem Weg hierher Schaden erleiden...« Ich wartete, bis Gudahals anfing zu schwitzen, und fuhr dann fort, »dann kommt
besser nicht zurück.«
Gudahals galoppierte gerade mit seinen vier Männern aus dem Lager hinaus und auf die Via Popilia, als Landerit mein Zelt betrat, salutierte und sprach: »Als es in den Salzsäcken aufhörte zu rumoren, Saio Thorn, waren sie ziemlich klumpig und merkwürdig verformt. Deshalb füllten wir sie mit noch mehr Salz auf, damit sie genauso rund und fest waren wie zuvor. Dann schnallten wir sie über die Packsättel von zehn ausgeruhten Maultieren. Zehn weitere Tiere wurden mit
Säcken beladen, die nur Salz enthalten. Damit haben wir wieder einen Zug von zwanzig beladenen Maultieren.«
»Sehr gut, Optio. Die anderen Maultiere könnt Ihr zu Eurer eigenen Herde von Zugtieren stellen; wir werden sie nicht brauchen. Jetzt gilt es, unsere - wie soll ich sagen
›trojanischen Maultiere‹ auf den Weg zu schicken. Ravenna muß trotz dieser heimlichen Verpflegung durch die Hintertür sehr lange mit jämmerlichen Rationen auskommen. Die
armen, ausgehungerten Leute werden jede Ankunft eines
Maultierzuges sehnlichst erwarten. Ob sie wohl das
Pökelfleisch mögen, das sie diesmal bekommen?«
Landerit murmelte: »Es wäre interessant zu sehen, ob sie hungrig genug sind, darüber herzufallen.«
»Wie dem auch sei«, sagte ich, »die Wachen, die Odoaker rings um die Stadt aufgestellt hat, sind disziplinierte römische Legionäre. Hungrig oder nicht, ihnen wird alles Verdächtige sofort auffallen. Deshalb muß dieser
Maultierzug aussehen wie alle anderen, was heißt, daß nicht mehr als fünf Treiber dabeisein dürfen. Geht und macht vier unserer besten Männer ausfindig, die bereit sind, sich unbewaffnet in die feindliche Feste zu begeben. Sie sollen zuerst die von den Treibern abgelegten
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