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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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eine Unterlassung meinerseits korrigieren.
    Als ich zum Senat sprach und diese Unterstützung
    ankündigte, sprach ich nur von Bauwerken und Monumenten und dergleichen, vergaß darüber aber die Statuen der Stadt.
    Wie du weißt, leiden sie an derselben Schwindsucht. Ich wünsche klarzustellen, daß auch sie mit diesem Geld
    restauriert und erhalten werden. Mein Quaestor und
    Schreiber Cassiodor Filius ist schon dabei, das Mandat auszuformulieren. Du kannst es bei ihm abholen, Thorn. Und bitte sorge dafür, daß es im Senat verlesen wird. Außerdem soll es im Diurnal ausgehängt und in den Straßen ausgerufen werden.«
    Ich begab mich zu dem jüngeren Cassiodor, der mich
    lachend aufforderte: »Ihr wollt es vielleicht lesen, bevor ich es versiegle.« Mit diesen Worten schob er mir einen Haufen Papyrus-Rollen herüber.
    »Welches davon ist das Mandat?« fragte ich und
    durchstöberte den Haufen.
    »Bitte?« Er blickte mich überrascht an. »Nun, das alles ist das Mandat.«
    »Das ganze Bündel? Theoderichs Befehl, der Zerstörung
    von irgendwelchen Dingen in Rom Einhalt zu gebieten?«
    »Natürlich.« Er sah etwas perplex aus. »Seid Ihr nicht deswegen gekommen?»
    »Cassiodor, guter Cassiodor«, sagte ich. »Ein Mandat
    dient nur dazu, einen Befehl offiziell zu machen. Es reicht, daß ich nach Rom gehe und drei Worte äußere: ›Hört auf damit!‹ Drei Worte!«
    »Ja und?« sagte er gekränkt. »Mehr steht hier auch nicht drin. Lest!«
    »Lesen? Ich kann es kaum in der Hand halten«, übertrieb ich, nahm dann aber doch ein Blatt auf.
    Auf dem obersten Papyrus, gerichtet »An den Senat und
    das Volk von Rom«, stand: »Die edle und preisenswerte
    Kunst der Bildhauerei wurde, so sagt man, in Italien schon von den Etruskern ausgeübt und verlieh der Stadt eine
    künstliche Einwohnerschaft, die ihrer natürlichen fast gleichkommt. Ich beziehe mich hier auf den Überfluß an Statuen von Göttern, Helden, ausgezeichneten Römern der Vergangenheit und auf die mächtigen Herden steinerner und metallener Pferde, die unsere Straßen, Plätze und Foren schmücken. Wenn die Menschen Ehrfurcht verspürten,
    würde diese Ehrfurcht allein, und nicht die Wachen der Stadt, als Beschützer dieses Schatzes von Rom ausreichen.
    Aber was sollen wir von dem kostbaren Marmor, der teuren Bronze sagen, kostbar sowohl vom Rohstoff wie auch vom Kunsthandwerk her? So viele Hände gieren danach, wenn
    sich die Stunde günstig erweist, davon zu pflücken. Wie Roms Wald aus Wällen, so sollte auch seine Bevölkerung aus Statuen so weit wie nötig wieder instandgesetzt werden.
    Unterdessen müssen alle aufrechten Bürger darüber
    wachen, daß diese künstliche Einwohnerschaft nicht weiter beschädigt, in Stücke gebrochen und weggekarrt wird. Oh ehrbare Bürger, wir fragen euch, wer, wenn ihm solch eine Aufgabe übertragen wird, kann davor seine Augen
    verschließen? Wer sich bestechen lassen? Ihr müßt nach solchen diebischen Schurken, wie wir sie beschrieben
    haben, Ausschau halten. Wenn der Verbrecher gefangen ist, wird die geschädigte Gemeinschaft, der die Schönheit der Vergangenheit durch das Abschlagen von Gliedern
    beeinträchtigt hat, ihn genauso leiden lassen, wie er die Statuen leiden ließ...«
    Hier brach ich ab, sammelte die Papyri zusammen,
    räusperte mich und sagte: »Ihr hattet recht, Cassiodor. Ihr sagt ›Hört auf damit‹. Nur sehr viel... sehr viel...«
    »Unmißverständlicher«, schlug er vor. »Vollkommener.«
    »Vollkommener. Genau! Das war das Wort, nachdem ich
    gesucht habe.«
    »Wenn Ihr weiterlesen werdet, Saio Thorn, wird es Euch noch sehr viel besser gefallen. An einer Stelle läßt sich König Theoderich aus über die Notwendigkeit -«
    »Nein, nein, Cassiodor«, wehrte ich ab und schob ihm die Rollen zu. »Nehmt mir nicht die Vorfreude darauf, zu sehen, wie diese Botschaft im Senat empfangen wird, die Wirkung, wenn diese erhabenen Worte durch die Kurie hallen.«
    »Im Senat!« Glückselig rollte er die Papyri zusammen,
    tropfte geschmolzenes Blei über die Rolle und drückte
    Theoderichs Siegel ein. »Im Senat!«
    »Ja«, sagte ich. »Und Eure Rede wird, darauf würde ich jede Wette eingehen, laut ›Vere Diserte! Nove Diserte!‹
    gepriesen werden.«
    4
    Den überwiegenden Teil der Jahre, die Theoderich auf
    dem Thron saß, tat ich, was ich immer getan hatte: Reisen, Beobachten, Erfahrungen sammeln, Lernen. Die anderen
    Marschälle des Königs waren froh, auf einen geruhsamen, sicheren Posten gesetzt worden

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