Der Greif
zu sein. Ich hingegen zog es vor, der reisende Emissionär meines Königs zu sein, sein langer Arm, sein weitblickendes Auge. Es kam zwar vor, daß Theoderich mich einige Zeit an seinen Hof holte oder ich meine Residenz in Rom oder mein Anwesen in Novae
besuchte, aber meistens hielt ich mich irgendwo im Reiche Theoderichs oder auch im Ausland auf.
Man konnte mich überall zwischen Baiae, dem luxuriösen, am Meer gelegenen Badeort der römischen Nobilität, und den abgelegensten Siedlungsgebieten wilder Stämme
antreffen. Manchmal war ich auf ausdrücklichen Befehl
Theoderichs dort, manchmal aus eigenem Antrieb.
Manchmal trug ich die mit dem Bildnis eines Ebers verzierte Rüstung und die anderen Insignien meines Marschallamtes, manchmal die auffälligen Gewänder, die ein Herizogo und Dux zu tragen berechtigt ist. Meistens aber zog ich die unauffällige Kleidung eines einfachen Wanderers vor. Auch wenn ich gelegentlich einen Trupp Soldaten mit mir führte oder von einigen Männern begleitet wurde, die mir als
Botschafter dienten, so machte ich mich doch oft allein auf den Weg und trug dem König meine Berichte persönlich vor.
Oft ging es in diesen Berichten um den Fortschritt eines der vielen Projekte, mit denen Theoderich das Leben seiner Untertanen verbessern wollte. Nach seiner Anweisung etwa wurden die alten römischen Straßen, Aquädukte, Brücken und Kloaken wieder hergerichtet und, wo nötig, neue
konstruiert. Wie schon die Sümpfe von Ravenna wurden
jetzt auch die pomptinischen Sümpfe von Rom, die
sumpfigen Gebiete bei Spoletium und die Gegend um Anxur trockengelegt.
Aber es wäre überflüssig, jede einzelne der unzähligen Verbesserungen und Leistungen unter Theoderichs
Regierung aufzuzählen. Das kann in den offiziellen Büchern über jene Zeit nachgelesen werden. Cassiodor Filius
arbeitet, neben seinen anderen Pflichten, auch daran. Als Quaestor und Schreiber hat er persönlichen Einblick in alles, was sich ereignete, seit Theoderich den Thron bestieg. Für die Zeit davor kann er sich weitgehend auf meine Berichte über die Geschichte der Goten verlassen. (Um der besseren Lesbarkeit willen wünschte ich nur, Boethius wäre mit der Abfassung der offiziellen Geschichte betraut worden. Wenn nichts anderes, so wird Cassiodors Historica Gothorum jedenfalls doch eines sein: voluminös.)
Unter der Regierung und Sorge Theoderichs stieg das
römische Reich im Westen wieder zu jener Blüte empor, die es in der längst vergangenen Aera der »fünf guten
Herrscher« erreicht hatte. Schon lange bevor der goldene Bart Theoderichs silbrig wurde, wurde er Theoderich der Große genannt. Und zwar nicht nur von Speichelleckern und Schmeichlern, sondern auch von anderen Königen. Selbst jene, die nicht mit ihm verbündet waren oder gut mit ihm standen, haben des öfteren seinen Rat gesucht. Was seine Untertanen anging... , die engstirnigen unter den Römern verziehen ihm nie, ein Ausländer zu sein; die kurzsichtigen katholischen Christen hörten nie auf, ihn um seines
arianischen Glaubens willen zu verachten, und andere
vergaßen ihm den Mord an Odoaker nicht. Aber niemand
kann heute ableugnen, daß er dank Theoderich besser und in einem glücklicheren Land lebt.
Wie gesagt, Theoderich hatte, im Gegensatz zu früheren Eroberern, darauf verzichtet, seinen neuen Untertanen seine eigenen Vorstellungen, oder die seines Volkes, von Moral, Sitten, Kultur oder Religion aufzuzwingen. Stattdessen mühte er sich, den Bürgern Roms ihr eigenes Erbe bewußt zu machen und ihnen Respekt dafür beizubringen, etwa
indem er der Zerstörung der antiken Monumente einen
Riegel vorschob und ihre Restaurierung förderte.
Es dauerte nicht lange, bis in ganz Italien und den
umliegenden Provinzen unzählige neu errichtete oder
sorgsam renovierte alte Bauwerke mit Widmungstafeln
versehen waren, auf denen die dankbaren Bewohner
Theoderich ihren Dank aussprachen: REG DN THEOD
FELIX ROMAE.
Auch bei einigen von Theoderichs Unternehmungen, die
darauf abzielten, Handel und Produktion in seinem Reich wieder anzukurbeln, fungierte ich als sein Vertreter. So führte ich einen Trupp Legionäre und Werkleute nach
Kampanien, um dort eine langaufgegebene Goldmine
wiederzueröffnen und einheimische Arbeiter anzuwerben.
Einen weiteren Trupp führte ich um das Adriatische Meer herum nach Dalmatien, wo wir drei aufgelassene
Eisenminen wieder in Gang brachten. An jedem Ort
ernannte ich einen Handwerker zum Aufseher der Arbeiten
Weitere Kostenlose Bücher