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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zu sein. Ich hingegen zog es vor, der reisende Emissionär meines Königs zu sein, sein langer Arm, sein weitblickendes Auge. Es kam zwar vor, daß Theoderich mich einige Zeit an seinen Hof holte oder ich meine Residenz in Rom oder mein Anwesen in Novae
    besuchte, aber meistens hielt ich mich irgendwo im Reiche Theoderichs oder auch im Ausland auf.
    Man konnte mich überall zwischen Baiae, dem luxuriösen, am Meer gelegenen Badeort der römischen Nobilität, und den abgelegensten Siedlungsgebieten wilder Stämme
    antreffen. Manchmal war ich auf ausdrücklichen Befehl
    Theoderichs dort, manchmal aus eigenem Antrieb.
    Manchmal trug ich die mit dem Bildnis eines Ebers verzierte Rüstung und die anderen Insignien meines Marschallamtes, manchmal die auffälligen Gewänder, die ein Herizogo und Dux zu tragen berechtigt ist. Meistens aber zog ich die unauffällige Kleidung eines einfachen Wanderers vor. Auch wenn ich gelegentlich einen Trupp Soldaten mit mir führte oder von einigen Männern begleitet wurde, die mir als
    Botschafter dienten, so machte ich mich doch oft allein auf den Weg und trug dem König meine Berichte persönlich vor.
    Oft ging es in diesen Berichten um den Fortschritt eines der vielen Projekte, mit denen Theoderich das Leben seiner Untertanen verbessern wollte. Nach seiner Anweisung etwa wurden die alten römischen Straßen, Aquädukte, Brücken und Kloaken wieder hergerichtet und, wo nötig, neue
    konstruiert. Wie schon die Sümpfe von Ravenna wurden
    jetzt auch die pomptinischen Sümpfe von Rom, die
    sumpfigen Gebiete bei Spoletium und die Gegend um Anxur trockengelegt.
    Aber es wäre überflüssig, jede einzelne der unzähligen Verbesserungen und Leistungen unter Theoderichs
    Regierung aufzuzählen. Das kann in den offiziellen Büchern über jene Zeit nachgelesen werden. Cassiodor Filius
    arbeitet, neben seinen anderen Pflichten, auch daran. Als Quaestor und Schreiber hat er persönlichen Einblick in alles, was sich ereignete, seit Theoderich den Thron bestieg. Für die Zeit davor kann er sich weitgehend auf meine Berichte über die Geschichte der Goten verlassen. (Um der besseren Lesbarkeit willen wünschte ich nur, Boethius wäre mit der Abfassung der offiziellen Geschichte betraut worden. Wenn nichts anderes, so wird Cassiodors Historica Gothorum jedenfalls doch eines sein: voluminös.)
    Unter der Regierung und Sorge Theoderichs stieg das
    römische Reich im Westen wieder zu jener Blüte empor, die es in der längst vergangenen Aera der »fünf guten
    Herrscher« erreicht hatte. Schon lange bevor der goldene Bart Theoderichs silbrig wurde, wurde er Theoderich der Große genannt. Und zwar nicht nur von Speichelleckern und Schmeichlern, sondern auch von anderen Königen. Selbst jene, die nicht mit ihm verbündet waren oder gut mit ihm standen, haben des öfteren seinen Rat gesucht. Was seine Untertanen anging... , die engstirnigen unter den Römern verziehen ihm nie, ein Ausländer zu sein; die kurzsichtigen katholischen Christen hörten nie auf, ihn um seines
    arianischen Glaubens willen zu verachten, und andere
    vergaßen ihm den Mord an Odoaker nicht. Aber niemand
    kann heute ableugnen, daß er dank Theoderich besser und in einem glücklicheren Land lebt.
    Wie gesagt, Theoderich hatte, im Gegensatz zu früheren Eroberern, darauf verzichtet, seinen neuen Untertanen seine eigenen Vorstellungen, oder die seines Volkes, von Moral, Sitten, Kultur oder Religion aufzuzwingen. Stattdessen mühte er sich, den Bürgern Roms ihr eigenes Erbe bewußt zu machen und ihnen Respekt dafür beizubringen, etwa
    indem er der Zerstörung der antiken Monumente einen
    Riegel vorschob und ihre Restaurierung förderte.
    Es dauerte nicht lange, bis in ganz Italien und den
    umliegenden Provinzen unzählige neu errichtete oder
    sorgsam renovierte alte Bauwerke mit Widmungstafeln
    versehen waren, auf denen die dankbaren Bewohner
    Theoderich ihren Dank aussprachen: REG DN THEOD
    FELIX ROMAE.
    Auch bei einigen von Theoderichs Unternehmungen, die
    darauf abzielten, Handel und Produktion in seinem Reich wieder anzukurbeln, fungierte ich als sein Vertreter. So führte ich einen Trupp Legionäre und Werkleute nach
    Kampanien, um dort eine langaufgegebene Goldmine
    wiederzueröffnen und einheimische Arbeiter anzuwerben.
    Einen weiteren Trupp führte ich um das Adriatische Meer herum nach Dalmatien, wo wir drei aufgelassene
    Eisenminen wieder in Gang brachten. An jedem Ort
    ernannte ich einen Handwerker zum Aufseher der Arbeiten

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