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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ein bestimmter Mann passieren wollte.
    Es dauerte seine Zeit, bis ich den Mann selbst zu Gesicht bekam. In der Regel bewegte er sich nämlich in einer
    gewaltigen, kostbar geschmückten und mit Vorhängen
    verhangenen liburnischen Sänfte fort. Acht rasch
    ausschreitende, schwitzende Sklaven trugen sie auf ihren Schultern, riefen laut »Platz, Platz dem Legaten« und
    rannten jeden über den Haufen, der nicht rechtzeitig aus dem Weg sprang. Als ich nachfragte, wurde mir bedeutet, daß es sich um die Sänfte des Latobrigex handelte - der Dux, wie es in Latein genannt wurde - oder Herizogo, wie es in der alten Sprache geheißen hätte. Latobrigex, so wurde mir gesagt, sei der einzige in Constantia geborene Bürger von wahrhaft edler Abstammung und aus diesem Grund
    zumindest nominell der Legat Roms in diesem
    prosperierenden Außenposten des Imperiums.
    Der andere Mann war ein riesenhafter, grobschlächtiger junger Mann mit einem trägen, stumpfen Gesichtsausdruck.
    Er hatte eine niedrige Stirn und buschige Augenbrauen. Er war etwa so alt wie Gudinand, in einem Alter also, in dem man gewinnbringend beschäftigt sein sollte, aber er schien ebenso untätig wie ich die Stadt zu durchstreifen. Ich jedoch nutzte meine Streifzüge wenigstens zum Beobachten und
    Lernen, wogegen sein leerer Blick nichts als Verachtung und Abscheu ausdrückte, ganz gleich wann und wo ich ihm
    begegnete. Niemals sah ich ihn irgend etwas tun, und in der Menge benahm er sich noch flegelhafter als alle anderen, die er fluchend und knurrend aus dem Weg schob.
    Einmal half ich einem alten Mann wieder auf die Beine, den der Grobian so rücksichtslos angerempelt hatte, daß er hingefallen war, und fragte ihn: »Wer ist dieser Rüpel eigentlich?«
    »Dieser verfluchte Balg wird Claudius Jaerius genannt. Er ist nicht im Vollbesitz seiner Sinne - außer jenem Sinn, der ihm sagt, daß er über allen einfachen Bürgern thront. Er hat keine Beschäftigung, keine Verpflichtungen und, abgesehen von seichtem Müßiggang und gedankenloser Brutalität,
    keine Interessen.«
    Während der alte Mann versuchte, den Schlamm, in den
    er
    gefallen war, von sich abzureiben, fragte ich weiter:
    »Warum wehren sich denn die einfachen Bürger nicht? Ich würde das tun, und zwar mit Freuden, obwohl er doppelt so groß ist wie ich.«
    »Versuche es gar nicht erst, junger Freund. Keiner von uns wagt, sich seinem Willen entgegenzustellen, er ist nämlich das einzige Kind des Latobrigex. Also sei auf der Hut. Zwar ist unser Dux kein Tyrann, sondern ein milder und zurückhaltender Mann, nachgiebig gegenüber seinen
    Untertanen, aber leider ist er Wachs in den Händen seines mißratenen Sprößlings. Es ginge ja noch, wenn Jaerius nur das schwache Temperament seines Vaters geerbt hätte.
    Aber er ist auch Sohn seiner Mutter, und die ist ein
    giftspeiender Drache sondergleichen. Ich danke dir, junger Herr, für deine Hilfsbereitschaft und dein Mitgefühl. Als Gegenleistung warne ich dich, gehe dem unerträglichen, aber auch unangreifbaren Jaerius aus dem Weg.«
    Ich nahm mir die Worte des Alten zu Herzen, zumindest
    solange, wie es mir möglich war.
    Es braucht wohl kaum gesagt werden, daß ich meine
    Streifzüge durch die Stadt und das umliegende Land immer als Thorn unternahm; dasselbe galt, wenn ich öffentliche Veranstaltungen besuchte oder mich unter die Bürger der Stadt mischte. Nur in jenen Dämmerstunden, in denen ich mich mit Gudinand für eine weitere Anwendung seiner Kur traf, wagte ich mich als Juhiza auf die Straßen Constantias.
    Selbst dann achtete ich sorgsam darauf, daß niemand sah, wie ich mich aus der Herberge stahl, durch die
    Hinterhofgassen zu den seewärts gelegenen Außenbezirken der Stadt schlich und von dort weiter in unser vertrautes Wäldchen. Nach diesen Episoden begab ich mich für
    gewöhnlich - im Schütze der Dunkelheit - zur Reinigung und Wiederbelebung in eine der Frauenthermen. Einige Male
    sah ich in der einen oder anderen Therme jene lüsterne Frau Robeya wieder. Aber sie blieb auf Abstand, und falls sich unsere Blicke zufällig trafen, warf ich ihr ein maliziöses Lächeln und sie mir einen giftigen Blick zu, woraufhin wir gegenseitig vermieden, uns weiter in die Augen zu schauen.
    Nur zwei- oder dreimal wagte ich mich als Juhiza im hellen Tageslicht unter die Augen der Öffentlichkeit. Das eine Kleid, das ich besaß, war schon, als ich es in Vesontio erstanden hatte, verblichen und abgetragen gewesen. Jetzt, nach
    mehreren Treffen mit

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