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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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verlief und länger war als beim ersten Mal.
    Und das sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. In
    regelmäßigen Abständen von rund einer Woche berichtete ein zerknirschter Gudinand, daß er wieder einen Anfall erlitten habe. Ich selbst habe keinen dieser Anfälle miterlebt, aber ich zweifelte auch nie an Gudinands Aufrichtigkeit. Ich weigerte mich zu glauben, daß er lügen würde, um von
    seinem Freund Thorn oder seiner Geliebten Juhiza einen Gefallen zu erschleichen. Also glaubte ich ihm und
    verabredete jedesmal wieder ein Stelldichein zwischen ihm und Juhiza.
    Einmal begnügte sich Gudinand nicht damit, Juhiza wie
    üblich seiner aufrichtigen Dankbarkeit zu versichern,
    sondern fügte unvermittelt hinzu: »Juhiza, ich liebe dich. Du weißt, ich bin... ungeschickt darin, anderen Menschen
    gegenüber meine Gefühle auszudrücken. Aber du mußt
    doch vermutet haben, daß ich in dir viel mehr als nur eine großzügige Wohltäterin sehe. Ich liebe dich, ich bewundere dich. Sollte ich jemals von dieser verfluchten Krankheit geheilt werden, dann würde ich gerne mit dir...«
    Ich legte einen Finger auf seine Lippen und lächelte, aber schüttelte den Kopf. »Du weißt, ich würde das niemals für dich tun, wenn ich nicht wirkliche Zuneigung für dich
    empfinden würde. Und ich muß gestehen, mir gefällt es so gut wie dir. Aber ich habe geschworen, mich niemals mehr von der wahren Liebe versklaven zu lassen. Selbst wenn ich meinen Eid brechen sollte, wäre das uns beiden gegenüber ungerecht, denn ich werde Constantia am Ende des
    Sommers verlassen und...«
    »Ich könnte mit dir kommen!«
    »Und deine sieche Mutter im Stich lassen?« rügte ich ihn.
    »Ne, laß uns davon nicht mehr sprechen. Laß uns genießen, was wir haben, solange wir es haben. Jeder Gedanke an ein Morgen, oder an Dauerhaftigkeit, würde uns umhüllen wie ein Totentuch. Kein Wort mehr, Gudinand. Die Dunkelheit bricht schnell über uns herein, und wir haben besseres zu tun als zu reden.«
    Ich habe diese Ereignisse in so wenigen Worten wie
    möglich wiedergegeben, denn was jetzt folgt, kann nicht so schnell abgehandelt werden. Dieser Sommer voll seltsamer und wundervoller Geschehnisse ging schließlich zu Ende.
    Der Herbst kam, und mit ihm die Katastrophe: für Gudinand, für Juhiza und - wie könnte es anders sein? - für mich.
    5
    Ich sollte daran erinnern, daß ich diese Sommermonate in Constantia keineswegs in einem Vakuum verbrachte. Wyrd war unterwegs und Gudinand arbeitete den größten Teil
    eines jeden Tages außer sonntags. Ich selbst hatte keine Pflichten, die mich beschäftigt hätten und verfügte so über sehr viel freie Zeit. Und die verschwendete ich keineswegs damit, in meinem Zimmer in der Herberge zu sitzen und auf mein nächstes Zusammentreffen - ob als Thorn oder als
    Juhiza - mit Gudinand zu warten. Einen Teil meiner Zeit verbrachte ich zwar in der Herberge, wo ich den
    Stallburschen dabei half, mein Pferd Velox zu füttern und zu striegeln oder das Leder des Sattels und des Zaumzeugs glänzend und geschmeidig zu halten.
    Doch meistens gab ich meinem eingeborenen Drang zur
    Neugier nach und erkundete, zu Fuß oder zu Pferd
    Constantia und die umliegende Gegend. Hin und wieder ritt ich hinaus und gesellte mich zu den Handelszügen, die mit schwerbeladenen Wagen und Packpferden in die Stadt
    kamen, oder ich ritt einige Meilen mit aufbrechenden Zügen.
    Von den Wagenführern und Reitern, mit denen ich mich
    unterhielt, erfuhr ich viel über die Länder, aus denen sie kamen und zu denen sie unterwegs waren.
    In der Stadt trieb ich mich gerne auf den Märkten und in den Handelshäusern herum, wo ich Bekanntschaft mit
    Käufern und Verkäufern schloß und viel über die Kunst des Verhandeins lernte. Sogar auf dem Sklavenmarkt von
    Constantia verbrachte ich einige Zeit und schmeichelte mich soweit bei einem ägyptischen Sklavenhändler ein, daß er mir sehr stolz und mit verschwörerischen Gesten eine exklusive Vorführung eines besonderen Postens seiner Kollektion
    gewährte. Ein Posten, der, wie er sagte, niemals öffentlich zur Schau gestellt werden würde. »Oukh«, sagte er, was in der griechischen Sprache soviel wie »Nein« bedeutete. »Sie wird nur unter der Hand verkauft werden... an einen Kunden mit sehr speziellen Wünschen. Diese Art Sklave ist außerordentlich selten und kostbar.«
    Als er sie mir jedoch zeigte, sah ich nichts weiter als ein nacktes
    Mädchen in ungefähr meinem Alter - ein recht hübsches
    und

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