Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
eine junge Dame aus edlem Haus, die sich und ihren Haushalt auf die einzige ihr mögliche Art und Weise verteidigt – mit der einzigen Waffe, die sie zur Hand hatte?«
»Du kennst doch viele Menschen, da bin ich mir sicher. Wenn er es versucht, musst du sicherstellen, dass die Geschichte, die man sich in Breidechboda erzählt, mir die Schuld gibt und nicht ihr.«
»Ja, Tehre hat mir berichtet, welche Geschichte du ihr vorgeschlagen hast. Obwohl sie nicht erwähnte ... Vergiss es. Es war schlau von dir, die Ereignisse, ah, umzudeuten, wie du es tatest. Und großmütig.« Annachudran wurde unruhig und stand auf, um eine Lampe anzuzünden, die über seinem Schreibtisch hing; die Abenddämmerung war von den Bergen herabgekrochen und hatte sich im Haus ausgebreitet, ohne dass es Gerent aufgefallen war. Das flackernde Licht der Lampe erzeugte wabernde Schatten im Zimmer und verwandelte dieses in eine kleine Zuflucht menschlicher Wärme unter der zum Sprung ansetzenden Dunkelheit.
Der Gelehrte kehrte auf seinen Platz zurück und fuhr fort: »Der König kennt jedoch die Wahrheit über das, was im Haus meiner Tochter geschehen ist, nicht wahr? Zumindest fast die ganze Wahrheit. Also kann man inzwischen keine falsche Erzählung mehr in Umlauf bringen. Vielleicht ist das nur gut so. Ich kenne tatsächlich verschiedene Leute; meine Gemahlin hat sehr viele Freunde, und die Tanschans werden sich kaum wünschen, dass eine Tochter Emres in den Schmutz gezogen wird. Nein ... nein. Der König wird diese Drohung nicht wahrmachen. Er hat ohnehin keinen Grund, gegen Tehre vorzugehen. Du bist schließlich hier.«
Gerent öffnete die Hände zu einer Geste, die einem Achselzucken entsprach. »Ich denke, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Entweder wird der Magier Erfolg haben und den Arobarn glücklich machen, oder er wird scheitern, und dann hat der Arobarn viel wichtigere Probleme als die Frage, wie Perech Fellesteden starb und von wessen Hand oder durch wessen Entscheidung. Obwohl das leider dann auch für alle anderen gilt.«
Annachudran musterte Gerent scharf. »Wird er wirklich Erfolg haben? Und was hat diese Schwäche zu bedeuten? Oder habe ich falsch verstanden, was ich gesehen habe?«
Das erforderte einen Augenblick des Nachdenkens. Schließlich antwortete Gerent mit Bedacht: »Es ist eine ihm eigene Schwäche, glaube ich, die aber durch die Nähe von Greifen verschlimmert wird. Und möglicherweise durch die Wüste selbst. Ich weiß nicht recht ... Ich vermute, der Ausritt zur Wüste hat den Zustand hervorgerufen – oder vielleicht das Bemühen, den Rand der Wüste auf seinem aktuellen Stand zu halten und die Greifen daran zu hindern, dass sie weiter in unser Land vordringen ... Er hat es nicht gern, wenn andere Zeuge dieser Schwäche werden.«
Annachudran nickte. »Auch das konnte ich sehen. Er hat es ... ganz gut verborgen, denke ich.«
»Das tut er gewöhnlich. Er sagt, körperliche Kraft bedeute wenig in dem Konflikt, den er hervorzurufen plant.«
»Tatsächlich.«
»Und er hat mich daran erinnert, dass er den Feuermagiern nicht allein gegenüberstehen wird.«
Annachudran blickte auf seine verschränkten Hände hinab. Dann sagte er: »Ensemarichtan Temand widerspricht Warichteier und Anweyer, was den fundamentalen Unterschied zwischen Zauberkunst und gewöhnlicher Magie anbetrifft. Ich denke mir, dass Beguchren Teshrichten mit Temand einer Meinung ist.«
»Er ist in meine Gedanken eingedrungen«, erzählte Gerent langsam. »Gleich nachdem er ... nachdem der Arobarn mich ihm übergeben hatte. Und dann sagte er, ich entspräche seinen Anforderungen, und ... unterzog mich Prüfungen, obwohl ich nicht ... Ich verstand nicht gleich, was er tat. Ich vermute, dass ich sie bestanden habe. Genug von ihnen. Temand habe ich nicht gelesen. Ich weiß jedoch, dass Beguchren plant, aus mir einen Magier zu machen. Oder nein: Er erwartet, dass ich selbst einen aus mir mache.«
»Ja.« Annachudran trommelte mit den Fingern unruhig auf den Armlehnen des Sessels. Er stand erneut auf, ging zum Regal und kehrte mit einem schweren Band zurück, der in schlichtes Leder gebunden war. Er trat an seinen Sessel heran, stellte geistesabwesend einen Fuß auf die Sitzfläche, stützte das Buch aufs Knie und suchte eine bestimmte Stelle. »Zauberer ... Zauberkunst ... Zauberei und die Gabe. Ja. Temand schreibt: Die Hervorbringung eines Magiers hängt somit von einer Definition des Selbstes ab und der Macht, diese Definition zu biegen; die
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