Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Frage stellte, war er in mancher Hinsicht auch überraschend arglos. Gerent unterdrückte den Impuls loszulachen. Mit beträchtlicher Zurückhaltung antwortete er: »Oh, ja.«
Annachudran schien angewidert. »Ich dachte ... Du hast recht damit, dass ich keinen Fluchgelübde-Sklaven möchte. Jetzt erst recht nicht mehr. Ich hatte mir überlegt, dass ich – wenn wir erst bei mir zu Hause sind – vielleicht den Namen deines früheren Meisters herausfinde und dich ...«
Kälte durchstieß Gerents Körper, als wäre es der Tod. Es gab nicht viele durch ein Fluchgelübde gebundene Männer, die seine Größe und sein allgemeines Aussehen hatten. Selbst wenn er sich weigerte, Annachudran den Namen seines früheren Herrn zu nennen, konnte er diesen leicht herausfinden. Gerent setzte die Teetasse ab, stand auf, ging um das Feuer herum zu Annachudran zurück und kniete sich hin. Legte die Handflächen auf den Boden. Beugte die Stirn auf die Erde.
»Gerent ...«
»Ich weiß – Ihr möchtet nicht, dass ich vor Euch krieche.« Gerent setzte sich auf und blickte dem anderen offen ins Gesicht. »Mein vorheriger Meister jedoch, er liebt es, wenn jemand vor ihm kriecht. Ich bin sicher: Er war sehr wütend, als er feststellte, dass er mich zurücklassen musste. Er wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr mich ihm zurückgeben würdet. Er ist ein mächtiger Mann; seine Gunst wäre wahrscheinlich sehr nützlich für Euch. Was mich angeht ... Er würde von mir erwarten, um Gnade zu betteln. Er würde von mir erwarten, den Dreck vor seinen Stiefeln zu essen. Ich täte das für Euch, nur würde es Euch nicht gefallen. Falls Ihr nach einer wirkungsvollen Drohung gesucht habt, so habt Ihr sie gefunden. Schickt mich nicht zu ihm zurück. Bitte, tut es nicht. Sagt mir einfach, ich solle ...«
»In die Berge gehen, ich weiß ...«
»... nach Melentser zurückgehen. Das täte ich lieber, als in das Haus dieses Mannes zurückzukehren.«
Es blieb eine Zeit lang still.
»Was hat er dir angetan?«, fragte Annachudran in gedämpftem Ton.
Gerent antwortete sanft: »Aben Annachudran, Ihr seid ein anständiger Mann. Das möchtet Ihr gar nicht hören.«
Diesmal blieb es noch länger still.
Gerent senkte den Kopf, holte langsam Luft, ließ sie wieder heraus. Er stand nicht auf, sondern erklärte: »Ich weiß, dass Ihr mir nicht die Freiheit schenken werdet. Das habt Ihr deutlich zum Ausdruck gebracht. Ich werde nicht wieder darum bitten. Stattdessen lautet meine Frage: Wie kann ich Euch überreden, dass Ihr mich behaltet? Dass Ihr mich nicht verkauft, nicht weggebt und mich vor allem nicht zu meinem früheren Meister zurücksendet?«
Annachudran starrte ihn an.
»Ihr hattet natürlich recht. Ich habe versucht herauszufinden, wie weit ich bei Euch gehen kann. Ich höre damit auf. Ich werde respektvoll sein – ich kann respektvoll sein. Ich spreche Euch mit Eurem Namen an, wenn Euch das lieber ist. Ich werde nicht vor Euch kriechen, weil Euch das nicht gefällt. Ihr könnt mich wie einen gedungenen Dienstmann behandeln statt wie einen Sklaven, wenn Euch das lieber ist. Ich vermag diese Rolle zu spielen. Ich vermag jede Rolle zu spielen, die Euch zusagt. Ihr hattet recht: Ich bin ein Schaffender. Ich könnte Euch nützlich sein ...«
»Hör auf!«, verlangte Annachudran; seine Stimme klang ziemlich verzweifelt.
Gerent schloss den Mund. Er stützte die Handflächen auf die Schenkel, zeigte sich mit Bedacht offen und gelassen. Und wartete.
»Was genau hast du eigentlich getan?«
Gerent zuckte zusammen – nicht merklich jedoch, wie er hoffte. Er hob an zu sprechen, zögerte dann. Endlich sagte er: »Wenn ich erneut antworte, dass ich gar nichts getan habe, werdet Ihr denken, ich würde lügen, und wütend sein. Das möchte ich nicht.«
»Sag mir einfach die Wahrheit!«
»Ihr wartet nur darauf, dass ich Euch anlüge. Seid Ihr so überzeugt davon, Ihr könntet die Wahrheit erkennen, wenn Ihr nach Lügen lauscht?«
Stille. Schließlich vollführte Annachudran eine angewiderte Handbewegung. »Iss zu Abend. Geh schlafen. Ich denke ... später über dein Ansinnen nach. Wenn wir bei mir zu Hause sind.«
Das Fluchgelübde konnte Gerent zwingen, den Rest vom Fisch zu verspeisen und den Tee zu trinken. Nicht mal das Fluchgelübde konnte ihn jedoch zwingen zu schlafen, sondern nur dazu, mit geschlossen Augen ruhig dazuliegen.
Der Morgen schimmerte wässrig und bleich durch den Nebel, der vom Fluss und vom feuchten Wald aufstieg. Kein Hinweis auf Wölfe
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