Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Der Fluss hinter Gerent erinnerte sich noch, so trocken er war, an die fließende, nicht vorhersehbare Kraft der Frühlingsflut und den langsamen, tiefen, lässigen Strom des Sommers. Gerent lenkte dieses Restbewusstsein aus der Erinnerung in die Gegenwart, prägte die Erinnerung an Wasser und Eis dem Stein unter seinen Händen ein und fügte sie zwischen diesen Block und den nächsten und den übernächsten ein. Er drehte sich, zog die Fingerspitzen über das Gestein, ging langsam flussaufwärts und verankerte dabei die Erinnerung an lebendiges Wasser und die Massivität der Erde tief im Wall.
Er wusste nicht, wie lange er so dahinschritt. Er legte die Strecke nicht nur mit den Füßen zurück, sondern bewegte sich irgendwie verschwommen durch die Entfernungen, immer weiter in die Berge hinauf, den trockenen Teschanken zu seiner Rechten und den Wall zu seiner Linken. Mit der Zeit wurde er auf eine Präsenz aufmerksam, die sich parallel zu ihm auf der anderen Seite des Walls fortbewegte. Es war eine feurige, machtvolle Präsenz ... Sie prägte der anderen Seite des Walls Feuer und die Erinnerung an Feuer ein. Gerents erster Impuls war es, gegen diese fremde Zauberei anzukämpfen, aber ... die Erinnerung und die Ausbildung eines Schaffenden kamen nicht umhin, das Gleichgewicht und die Symmetrie zu verstehen, die diesem Werk innewohnten: Erde und Wasser auf dieser Seite des Walls, Feuer auf der anderen. Letztlich entstand daraus, dachte er, ein Wall, der das Land des Feuers für immer vom Land der Erde trennen würde.
Wenigstens so weit, wie der Wall reichte. Er fragte sich, wie weit das war, wie viele Berge Tehre zertrümmert hatte, wie viele Blöcke sie mit ihrer Kunst in Form und Position gebracht hatte ... Das war nicht irgendeine simple Gabe. Nein. Eine Schaffende und eine Baumeisterin und eine Technikerin und eine Philosophin, hatte sie von sich gesagt. Sie hatte nicht hinzugefügt: Und eine Magierin. Beguchren hatte jedoch Gerent mitnehmen wollen, weil er eine Spur verborgener Zauberkraft in seiner Gabe erblickte; das begriff Gerent jetzt, weil er dieselbe Spur Zauberkraft in Tehre gesehen hatte – nur klarer und stärker, vermutete er, als seine je gewesen war, solange er noch zu den Schaffenden gehörte.
Der Wall lief schließlich hoch oben in den Bergen aus. Die Blöcke, an denen er vorbeikam, wurden immer kleiner und schmaler, bis schließlich nur noch gewöhnliche ungeformte Steine unter Gerents Füßen knirschten und sich ein klarer Nachmittagshimmel über ihm ausbreitete. Es gab nichts mehr, was balanciert und verankert und mit Erinnerungen von Erde und Wasser und Eis geprägt werden musste ... Gerent zog seine Wahrnehmung langsam aus dem Gestein zurück. Er brauchte einen Augenblick lang, um sich an die eigene Gestalt zu erinnern – um sich der Tatsache zu entsinnen, dass er nicht aus Granit bestand. Unvermittelt fand er sich am Ufer eines Sees wieder, der so gewaltig war, dass Gerent das gegenüberliegende Ufer nicht sehen konnte. Neugierig versuchte er, den See mit seinem neuen Gewahrsein von Raum und Bewegung zu überspannen ... Doch selbst auf diese Weise fand er das andere Ufer nicht: Er nahm nur Nebel und glitzernden Frost wahr, der von der Oberfläche des Wassers bis hinauf zu den Wolken reichte. Der Wall bewahrte den See und die Flüsse, die er speiste, vor jeglicher Berührung durch das Feuer, und rechts von Gerent stürzte der Teschanken in einem eisigen Wasserfall aus der grenzenlosen Schale des Sees hinab ins Land der Menschen.
»Dies ist kein Ort für das Volk des Feuers«, stellte eine harte, strenge, müde Stimme fest, die ihre Worte klar artikulierte, um das Rauschen des Flusses zu übertönen. Der Greifenmagier kam hinter dem niedrigen Ende des Walls zum Vorschein und blieb am Ufer des Sees stehen. Er trug Menschengestalt. Gerent hätte ihn jedoch nie, nicht einmal einen Augenblick lang, für einen Menschen gehalten. Er war entsetzt darüber, dass die Kreatur hier auftauchte – an diesem Ort, wo die Magie der Erde und des Wassers der alltäglichen Welt so nahe kam, dass man fast zwischen beiden Sphären schwankte. Es musste ein grauenhafter Ort sein für eine Kreatur des Feuers.
Gerent wich argwöhnisch einen Schritt zurück und tastete nach der Zauberkraft, nach Erinnerungen an Eis.
»Bleib ruhig, Mensch. Frieden«, besänftigte ihn der Greif. Sein Ton klang zwar müde, aber auch Sarkasmus und Abneigung schwangen darin mit. »Du solltest lieber nicht daran denken, gegen mich zu
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