Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
sich über die Schulter und plagte sich Richtung Ufer. Dort angekommen legte er Annachudran – weniger sachte, als er vorgehabt hatte – auf ein flaches Uferstück aus Kieselsteinen und Sand. Sogleich sank er neben ihm auf die Knie und tastete am Hals nach dem Puls. Fand ihn. Drehte den Mann auf den Rücken und drückte auf seine Brust, um das Wasser aus den Lungen zu befördern – tat dies so lange, bis Annachudran aus eigener Kraft weiteratmete. Und wurde sich erst jetzt dessen bewusst, was er getan hatte.
Gerent rappelte sich auf. Alles war so schnell passiert. Zu schnell. Ihm war schwindlig und übel. Rücken und Hüfte taten ihm weh; ein Knie schmerzte sehr stark, was nur bedeuten konnte, dass es verrenkt oder vielleicht verstaucht war. Die Handflächen waren wund ... Wie war das nun passiert?
Annachudran ging es jedoch viel schlechter. Immerhin atmete er noch, auch wenn er dabei ein Rasseln von sich gab, das auf Restwasser in den Lungen hindeutete. Durch den Schock ging der Puls schnell und schwach. Eine Beule, so groß wie ein Ei, prangte hinter dem Ohr. Gerents Blick fiel auf Annachudrans Beine; eines davon sah so aus, als ob es gebrochen war.
Gerent war einfach nicht schnell genug auf die Idee gekommen, den Mann ertrinken zu lassen. Jetzt jedoch ... Ein Bewusstloser konnte ihm nicht befehlen, ihm zu helfen. Ohne Fürsorge starb Annachudran vermutlich. Gerent starrte auf ihn hinab. Er konnte den Mann nicht mit einem Fußtritt zurück in den Fluss befördern; selbst ohne das Fluchgelübde wäre er, wie er glaubte, dazu nicht fähig. Aber ... er brauchte auch gar nicht dermaßen aktiv zu werden, oder?
Die derzeitige Lage war zu ungewiss für das Fluchgelübde, um eine starke Bindung zu erzwingen. Gerents Meister war dem Tode vielleicht zu nahe. Zu totenähnlich. Interessantes Wort, dieses »totenähnlich«. Das Fluchgelübde schien es beinahe als ein Synonym für »tot« zu betrachten. Gerent war recht sicher, dass er jetzt einfach fortgehen konnte. Die Hüfte tat weh; das Knie brannte förmlich vor Schmerzen. Die Bänder schienen jedoch nicht gedehnt. Er konnte einigermaßen laufen. Er brauchte nicht mal einen Stock.
Nach seiner vorangegangenen Erfahrung zu urteilen, als Fellesteden ihn in Melentser zurückgelassen hatte, reichte allein die schiere Entfernung, um das Fluchgelübde ruhig zu halten. Und inzwischen wusste Gerent auch, anders als zuvor, dass das Fluchgelübde ganz gebrochen wäre, sobald er in der Wüste in direktem Sonnenlicht stand – und er sich dann gleich wieder zurückziehen konnte. Genau: Er würde nur einen kleinen Umweg machen müssen. Die Berge warteten anschließend nach wie vor auf ihn, ebenso Farabiand und die endgültige Befreiung vom Fluchgelübde.
Wenn Gerent jetzt fortging und wider alle Erwartung Annachudran doch wieder zu sich kommen würde ... na ja, dann wäre er verletzt und fröre; die Kälte der Nacht bräche über ihn herein, ohne dass er ein Feuer entfachen konnte. Keine Wölfe waren nötig, damit jemand starb, der verletzt und allein in der Dunkelheit zurückblieb. Er würde sterben ... allein und verlassen ... weniger als zehn Meilen von seinem Haus entfernt. Gerent fluchte.
Dann wuchtete er den kleineren Mann auf die Arme und ächzte, als dabei die Schmerzen in Rücken und Knie aufflammten. Er humpelte zu den Satteltaschen zurück, um dort einen Flecken Erde von Steinen und Zweigen freizuräumen und den Mann abzulegen. Gerent suchte die Decken heraus und breitete eine als Bett auf dem Boden aus, bevor er dem Mann die nasse Kleidung auszog. Ein großer, sich ausbreitender blauer Fleck am Oberkörper zeigte an, dass darunter wahrscheinlich Rippen gebrochen waren. Er erblickte eine Schnittwunde an dem Bein, das gebrochen war, aber sie blutete nicht stark. Gerent verband die Wunde und breitete die andere Decke über den Verletzten. Anschließend entfachte er ein Feuer und befürchtete die ganze Zeit, Annachudran würde doch wieder zu sich kommen. Der Mann rührte sich jedoch nicht. Gerent warf einen Blick zur Sonne hinauf. Noch Stunden bis zur Abenddämmerung. Und Annachudrans Atem hörte sich inzwischen besser an. Auch der Puls am Hals war kräftiger geworden. Wenn Gerent ihn jetzt im Stich ließ, würde er womöglich doch wieder gesund. Obwohl ... das Bein ... Aber sicher wartete die Familie auf ihn. Gewiss rechnete sie damit, dass er auf dem Heimweg war. Bestimmt kam bald jemand zum Fluss, um nach Annachudran zu suchen.
Gedankenverloren holte Gerent die
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