Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
genutzt. Jetzt aber leistete ihm die eigene Körperkraft gute Dienste. Ebenfalls die durch harte Übung erworbene Ausdauer. Und die schiere Verbissenheit ... Die Sonne sank hinter ihm dem Horizont entgegen; und die Schatten wurden länger. Die Landschaft wurde weiträumiger: Immer mehr offene Wiesen und Gehölze traten an die Stelle des dichten Waldes, der schließlich ganz den Wiesen und Weiden wich. Gerent benutzte die Richtung der Schatten, um sich zu orientieren. Er bemühte sich, nicht zu vergessen, dass er zuzeiten mal aufblickte und nach Apfelbäumen Ausschau hielt – sowie nach einem Haus vor Bergen, an denen ein Fluss herablief. Er war durstig ... Der Durst wurde zur Folter, sobald er erst einmal daran dachte. Er hatte nicht daran gedacht, die Wasserschläuche am Fluss aufzufüllen! Doch er setzte weiterhin einen Fuß vor den anderen, obwohl jeder zweite Schritt nur noch kurz ausfiel, denn er konnte das rechte Knie nicht mehr richtig beugen. Das war jedoch in Ordnung, denn die schmerzende Hüfte hätte seine Schritte ohnehin verkürzt.
Abenddämmerung. Die Schatten wurden länger und bedeckten das Land, und nirgendwo war ein Haus mit Kerzen in den Fenstern, um einem späten Wanderer den Heimweg zu weisen ... Er hatte das Haus verfehlt. Er wusste, dass er es verfehlt hatte. Inzwischen stolperte er über jede kleine Unebenheit des Bodens. Er sollte einfach anhalten und auf den Morgen warten. Aber er konnte nicht anhalten – nicht jetzt, egal wie unvernünftig es vielleicht war, sich weiter voranzukämpfen. Nicht, bis die letzten Reste seine Kräfte verausgabt waren und er einfach an Ort und Stelle zusammenbrach ... Undeutlich wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr direkt nach Osten ging, und eine ganze Weile lang wusste er keinen rechten Grund dafür. Dann sprang der Wind um, und er blinzelte. Äpfel. Es war inzwischen zu dunkel, um die Bäume zu erkennen, aber er roch das Obst in der sanften Brise. Er hob den Kopf, wandte das Gesicht dem süßen Duft zu ... Da schimmerte ein Licht. Da war also doch eine Lampe: eine Lampe in einem der oberen Fenster eines Hauses. Und hinter diesem Licht erhoben sich die dunklen Hügel, die einen Teil des sternenhellen Himmels verdeckten.
Gerent schaffte es durch den Obstgarten und bis an das Gatter zum Garten direkt am Haus. Das Gatter war abgeschlossen. Er stand einige Zeit dort, zu benommen, um zu begreifen, warum er angehalten hatte. Dann rief jemand von innerhalb des Gatters, und eine andere Stimme antwortete. Gerent verstand nichts von dem, was er hörte, aber er ließ die Stangen der Trage los. Die Hände waren vom stundenlangen Zupacken verkrampft, und er konnte sie nicht mehr öffnen. Er konnte jedoch mit den Fäusten ans Gatter hämmern. Er bekam keine zusammenhängenden Worte heraus, aber heisere Schreie sehr wohl.
Dann wurden weitere Stimmen vernehmbar. Und Laufschritte von Stiefeln auf den Platten eines Gehwegs. Und das Scharren von Holz auf Holz, als jemand das Gatter entriegelte. Lampenlicht ergoss sich nach draußen, als das Gatter geöffnet wurde, und Stimmen riefen Unverständliches. Gerent hörte sie kaum. Er bemerkte nur, wie das Fluchgelübde seinen Griff in ihm und um ihn lockerte. Er spürte nicht mal mehr, wie er zusammenbrach.
Kapitel 2
Gerent träumte von dem heißen Brandeisen. Es zog brennend einen Kreis auf seiner Wange.
Als die Brandmarkung tatsächlich stattgefunden hatte, warnte man ihn davor, sich zu wehren. Er verlöre dann vielleicht ein Auge, sagten sie, wenn das Eisen ausrutschte. Die Drohung hatte Gerent entsetzt. Deshalb hatte er sich nicht gewehrt.
Diesmal wusste er, was das erhitzte Eisen bedeutete. Er wusste, dass Schlimmeres existierte, als ein Auge zu riskieren. Er wehrte sich verzweifelt.
Gewicht drückte ihn nieder. Hände packten ihn an den Armen, den Schultern, dem Rumpf. Hände schlossen sich um seinen Kopf, bannten ihn an Ort und Stelle, egal wie sehr er sich wehrte. Das Eisen arbeitete diesmal langsam, folgte bedächtig seiner Kreisbahn. Der Weg des Eisens war qualvoll, und die Narbe, die dabei entstand, bedeutete unaufhörliche Qual, aber man hielt ihn zu fest, sodass er sich nicht wehren konnte. Er brüllte ... Er hatte damals nicht gebrüllt, aber diesmal tat er es, denn er wusste, welche Art Leben ihm das Eisen beließ. Und er brüllte, weil ihm nichts weiter als die Stimme verblieben war; das Fluchgelübde übernahm den Körper und die Hände, aber es ließ ihm die Stimme ... Dunkelheit und Feuer und das erhitzte
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