Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
sicher Angst. Er würde verfolgen, wie sie vorbeiflogen ... Ganz bestimmt flogen sie einfach weiter. Und dann wartete er wohl. Und worauf? Wie lange brauchte er, um angesichts seiner Verletzungen die Hoffnung zu verlieren? Wie lange lag er dort mit Schmerzen und wachsender Verzweiflung, bis er schließlich still neben diesem Feuer starb? Während seine Frau und Kinder und Enkelkinder keine zehn Meilen entfernt auf ihn warteten?
Gerent wurde dieses Bild einfach nicht mehr los. Es war schlimmer als die Vorstellung, wie die Greifen den Gelehrten zerfetzten. Wie lange dauerte es denn wohl, bis jemand hinab zur Furt kommen und nach dem Mann suchen würde? Wer war es, der käme? Seine Gattin? Eines seiner Enkelkinder?
Es war also nicht die Furcht vor den Greifen, die Gerent bewegte, sich zurück nach Süden zu wenden. Schließlich könnte er sie niemals aufhalten, wenn sie Annachudran umbringen wollten, nicht einmal, wenn er dort zur Stelle wäre. Aber die Vorstellung von diesem freundlichen, zivilisierten, kultivierten Mann, der mit langsam verlöschender Hoffnung wartete, während die Stunden, vielleicht Tage ins Land gingen und niemand kam ... Das war es, was Gerent bewegte zurückzugehen.
Er brauchte etwa eine Viertelstunde, um wieder die Furt zu erreichen. Alles war noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte; keine Spur davon, dass die Greifen hier gelandet wären. Das erwies sich beinahe als Schock, obwohl er es für unwahrscheinlich gehalten hatte, dass sie so etwas täten. Annachudran war nicht wach, aber er lebte nach wie vor. Gerent stand einen Augenblick lang da, blickte auf ihn hinab und fragte sich, ob er den Wunsch hatte, dass dieser Mann starb. Er wusste es nicht. Er wusste jedoch, dass er ihn kein zweites Mal im Stich lassen konnte.
Es erforderte vielleicht eine weitere Viertelstunde, um eine Trage aus grünen jungen Bäumen und den Decken anzufertigen. Dann dauerte es jedoch länger als erwartet, um Annachudran auf die Trage zu packen und die Satteltaschen zu arrangieren. Gerent ließ die Reisesäcke liegen und steckte nur die eigenen Bücher in eine der Satteltaschen. Talglichter oder einen Kochtopf brauchte er jetzt nicht mehr.
Dann nahm er die abgeschälten Enden der Schösslinge zur Hand und stemmte die Last hoch.
Das Knie tat höllisch weh, als es das zusätzliche Gewicht tragen musste. Das Bein hielt jedoch. Stechende Schmerzen zuckten ihm den Rücken hinab bis in die Hüfte hinein, aber er glaubte nach wie vor, dass nichts wirklich gebrochen war. Die Hände schmerzten, während er die Enden der Schösslinge fest umklammert hielt, obwohl ihm diese unangenehmen Empfindungen neben dem Knie und der Hüfte nur geringfügige Ablenkungen zu sein schienen. Keine zehn Meilen mehr, hatte Annachudran gesagt. Wie viel weniger? Es sollte lieber sehr viel weniger sein, dachte Gerent grimmig, oder er würde es niemals schaffen.
Hier kam man vielleicht besser voran als im Hochgebirge, aber recht bald schon bezweifelte Gerent, dass er diese letzte Etappe seiner Reise bewältigen würde. Auf Merrich Berchandren ging der berühmte Sinnspruch zurück, dass die letzte Meile einer jeden Reise immer die schwerste sei. Sollte sich die letzte Meile als noch schwieriger erweisen als diejenige, die er gerade zurücklegte, dann freute sich Gerent garantiert nicht darauf.
Jetzt konnte er allerdings das Fluchgelübde tatsächlich nutzen, statt zu versuchen, es in den Schlaf zu wiegen. Er tat so, als hätte sein Herr ihm befohlen, ihn nach Hause zu bringen. Er stellte sich Annachudrans schmerzerfüllte Augen und den angespannten Tonfall vor: Gerent, bring mich nach Hause! Man konnte das Fluchgelübde im Grunde nicht überlisten, aber andererseits war es wirklich eine verzweifelt wichtige Dienstleistung, den schwer verletzten Meister nach Hause zu bringen. Nichts daran war ein Vorwand. Er warf einen Blick über die Schulter auf Annachudrans weißes Gesicht, dachte angestrengt daran, den Mann in Sicherheit zu bringen, und spürte das Fluchgelübde endlich bebend erwachen und fest zupacken. Danach kam es einfach nicht mehr in Frage anzuhalten: Außer dem Zwang des Fluchgelübdes hatten weder die Hüfte noch das Knie, noch die blutenden Handflächen irgendeine Bedeutung.
Gerent war von jeher ein großer Kerl: Schon als Kind und später als Junge und Jugendlicher war er stets groß für sein Alter gewesen, und seit er ausgewachsen war, hatte er nur selten einen stärkeren Mann getroffen. Und es hatte ihm überhaupt nichts
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