Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
angestellt hatte, während er bewusstlos war, so konnte er das nicht erkennen. Er fühlte sich normal. Abgesehen von dieser komischen Leichtigkeit, bei der ihm die Frage durch den Kopf ging, ob er nicht aus dem Fenster hätte springen und wie eine Daunenfeder aus seinem Kissen zum Garten hinabschweben können. Das war kein unangenehmes Gefühl. Es war jedoch ungewöhnlich und ungemütlich, weil er fast glaubte, er müsste sich von früher daran erinnern, nur dass er es nicht tat.
Auf einem Tisch neben dem Bett entdeckte er einen Krug mit Wasser, eine große Messingschüssel und einen kleinen Stapel zusammengefaltete Kleidungsstücke. Das Zimmer war nicht groß. Es barg außer dem Bett, dem Tisch, einem kleinen Schreibtisch und einem Stuhl kaum etwas. Auf dem Schreibtisch sah er Papier, eine Schreibfeder und ein Tintenfläschchen. Die Tinte war saphirblau.
Gerent goss Wasser in die Schüssel und wusch sich das Gesicht. Dann zog er die Kleidungsstücke an. Sie waren weder blau und weiß, noch stellten sie sonst eine Livree dar; vielmehr waren sie schlicht braun und lohfarben. Der Stoff war jedoch von guter Qualität, und die Sachen passten.
Gerent fand keine Stiefel, wohl aber Haussandalen unter dem Tisch. Er nahm sie zur Hand und setzte sich an den Schreibtisch, um sie anzuziehen – und hielt plötzlich in der Bewegung inne. Lange saß er reglos da und starrte hinab.
Die silbernen Fluchgelübde-Ringe waren verschwunden. Nicht nur die Kettchen, die Beguchren Teshrichten in sie eingefädelt hatte, sondern die Ringe selbst. Völlig weg. Nur noch kleine vernarbte Löcher zeichneten die glatte Haut zwischen Sehne und Knochen. Als Gerent zögernd die Knöchel an den Stellen abtastete, wo die Ringe gesessen hatten, spürte er die Löcher. Die Ringe selbst waren jedoch verschwunden!
Gerent hatte nur Freude und Dankbarkeit empfunden, als Aben Annachudran ihn vom Brandmal im Gesicht befreit hatte. Jetzt wusste er gar nicht, was er empfand.
Vor dem blauen Zimmer traf er Dienstboten an: eine Frau mit einem Besen, die das eintönige Braun des Hauspersonals trug, und, wichtiger noch, einen Mann in Livree, der vor der Tür wartete. Der Mann sprach Gerent mit »hochverehrter Herr« an und führte ihn durch Korridore und Treppen hinauf und entlang einer Säulengalerie, die nach außen hin offen stand. Schließlich geleitete er Gerent durch einen mit komplexen Steinmetzarbeiten verzierten Portikus in eine Vorhalle, behangen in Blau und Violett und verziert mit Mosaiken von Vögeln und Bäumen. All das gehörte eindeutig zum Palast; all das war eindeutig dazu gedacht, den Betrachter zu beeindrucken und zu überwältigen.
Es ärgerte Gerent – er war bereit, ärgerlich zu sein, stellte er fest. Wütend zu sein. Alles hier war entworfen, um zu manipulieren und Menschen das Gefühl zu geben, sie wären klein und untergeordnet. Und das bedeutete, alles war hier aus einem Guss, alles war von Anfang an eine Manipulation gewesen. Und das aus welchem undeutbaren Grund? Beguchren Teshrichten brauchte Gerent eindeutig. Und hatte ihn mit Absicht durch diese ganze Farce aus Zuckerbrot und Peitsche gehetzt. Aber wofür? Wofür?
Der Mann in Livree gab Gerent mit einem respektvollen Wink zu verstehen, er möge im Vorraum warten, und trat durch einen mit einem Vorhang verdeckten Türdurchgang. Gerent wartete nicht, sondern folgte ihm auf dem Fuße.
»Hoher Herr ...«, sprach der Mann gerade den Magier mit dem schneeweißen Haar an.
Der Magier saß auf der Kante eines riesigen Schreibtisches und sah dort ganz nach einem Kind aus, das es sich im väterlichen Studierzimmer bequem gemacht hatte. Ein Mann, dessen Körpergröße zu den Dimensionen des Schreibtisches passte, faulenzte in einem Sessel, aber Gerent schenkte ihm kaum einen Blick. Er interessierte sich für niemanden außer dem Magier.
Beguchren Teshrichten hatte gerade einen langen Federkiel gedankenverloren durch die Finger gezogen. Er schien dem Mann in Livree keine nennenswerte Beachtung zu schenken, aber er blickte scharf auf, als Gerent eintrat. Daraufhin gab er dem Diener mit einem Wink zu verstehen, er möge schweigen, und hüpfte vom Tisch, um Gerent zu empfangen. Er lächelte nicht, aber sein gelassener Ernst war ebenso undurchschaubar wie sein sonst gewohntes Lächeln. Zu dem Lakaien sagte er in einem Tonfall höflicher Verabschiedung: »Danke, Terechen.« Dieser warf kurz einen unsicheren Blick auf Gerent und ging hinaus.
Gerent brachte gerade noch genug
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