DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
gewesen, und sie hätte ihm das Herz gebrochen. Später kam ihr der Gedanke, dass eine solche Erklärung vielleicht zu einfach war. Auch hatte sie mit der Zeit begriffen, dass das Leid ihres Vetters, worin es auch immer begründet lag, in gewisser Weise tiefer reichte … Nein, nicht tiefer, das war nicht fair. Andererseits war es vielleicht irgendwie umfassender als jener Kummer, unter dem Männer litten, die einfach Pech mit einer Frau gehabt hatten. Diese Einschätzung beruhte allerdings im Großen und Ganzen auf den liebeskranken und verlassenen Männern, die ihrer Zofe Karin folgten wie eine Reihe Gänseküken, die kläglich flötend hinter einem Schwan herwatschelten … Nun ja, das war ein albernes Bild. Vielleicht war es nicht ganz fair, Bertaud mit der hoffnungslosen Sammlung gescheiterter Liebhaber ihrer Zofe zu vergleichen.
Worin auch immer sein Widerwille gegenüber dem Thema begründet lag, Maianthe hatte ihm nie Fragen nach jener Zeit gestellt. Schon als Kind war ihr klar gewesen, dass jemand womöglich die Vergangenheit lieber vergaß. Oder – wenn man sie schon nicht vergessen konnte – dass man zumindest darauf verzichtete, unerfreulichen Erinnerungen nachzuhängen. Wortlos hatte sie sich entschlossen, dass Bertaud ihr gegenüber entweder sprechen oder schweigen konnte – wie er es eben lieber hatte.
Das beendete jedoch nicht ihre große Neugier auf alles, was mit ihrem Vetter und seinen damaligen Taten zu tun hatte. Nachdem er sie zu sich ins große Haus geholt hatte, brachte sie ihm eine enorme Bewunderung entgegen und sehnte sich danach, in allen Einzelheiten von allen bewundernswerten Dingen zu erfahren, die er jemals vollbracht hatte. Sie fragte die Wachmänner, die Dienstboten, und einmal brachte sie sogar die Kühnheit auf, König Iaor zu fragen. Obwohl niemand alles zu wissen schien, prägte sie sich doch die Einzelheiten ein, welche die einzelnen Gesprächspartner beisteuerten, und erfand selbst Geschichten, um die fehlenden Teile zu erklären.
Den König von Casmantium hätte sie in jedem Fall erkannt, denn er ähnelte so sehr seinem Sohn Erich. Als sie Brekan Glansent Arobarn erblickte, glaubte sie ihn beinahe wiederzuerkennen. Welch seltsame Vorstellung, dass er gar nicht wissen konnte, wer sie war.
Der Arobarn war ein großer, starker Mann, stämmig und hochgewachsen zugleich, und sah mehr nach einem Berufssoldaten als einem König aus, wenn man einmal von den Hemdknöpfen aus Saphir und Amethyst und der schweren Goldkette absah, die er um den Hals trug. Ansonsten war er in schmucklosem Schwarz gekleidet und trug ein Schwert mit schwarzem Griff an der Seite. Da seine kurz geschnittenen Haare und der dichte Bart ebenfalls schwarz waren, gab er eine grimmige, aggressive Erscheinung ab – mit Absicht, wie Maianthe vermutete. Es war jedenfalls effektiv. Der Kiefer war wuchtig, aber die tiefliegenden Augen, in denen Geist ebenso wie kraftvolle Energie glitzerte, sorgten dafür, dass er weder stumpf noch roh wirkte. Sie hätte Angst vor ihm gehabt, hätte sie ihn nicht ebenso aus dem Blickwinkel von Erichs Erinnerungen erblickt wie aus dem der eigenen Augen. Und so fand sie Freundlichkeit und Großzügigkeit ebenso in seinem Gesicht wie aggressive Energie.
Der König saß auf einem schlichten Stuhl aus geschliffenem Granit, in einem Zimmer, das nicht groß war und dennoch prunkvoll wirkte dank der violetten Wandbehänge, der dicken indigoblauen Teppiche und des saphirblauen Glases der Lampen. Obwohl man hier weitere Stühle fand – aus schlichtem Holz –, standen alle anderen Anwesenden im Raum.
Mehrere Wachsoldaten und Dienstboten hielten sich bereit; zudem gab es noch einige andere Personen im Zimmer, die eindeutig wichtigere Ränge innehatten als dieses Gefolge. Direkt neben dem König lehnte sich ein kleiner Mann mit zierlichem Knochenbau und vollkommen weißen Haaren lässig an den Steinsitz. Maianthe erkannte ihn sofort. Bertaud redete zwar nicht gern über Casmantium, aber sowohl König Iaor als auch Erich hatten ihr diesen Mann beschrieben. Erich hatte ihr erklärt, dass man ihn unmöglich täuschen konnte und er zugleich klug und gutherzig war. Er hat als Einziger in ganz Casmantium nicht mal ein klein wenig Angst vor meinem Vater, hatte Erich berichtet. Wenn er jemanden freundlich behandelt, dann nicht, weil er ein Prinz ist.
Es handelte sich um Beguchren Teshrichten, der laut Erich ein Magier gewesen war, aber nach König Iaors Ausführungen irgendwie seine
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