Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde

Titel: DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Neumeier
Vom Netzwerk:
Stadt.
    Einige Minuten lang folgten sie schweigend dem Weg. Jos dachte an den Wall und ein bisschen an Kes, aber das war zu schmerzlich, und so bemühte er sich, über andere Dinge nachzusinnen – egal, welche. Dann aber ging ihm der Gedanke durch den Kopf: Hier sind wir also auf dem Weg hinab nach Tihannad. Das war ein solch seltsamer, ungemütlicher Gedanke, dass er kaum wusste, was er damit anfangen sollte. Sechs einsame Jahre im Hochgebirge hatten ihn sicherlich der Gesellschaft von Menschen entwöhnt. Was sollte er jetzt in einer lärmenden Stadt tun? Einer Farabiander Stadt voller verängstigter Bauern, die hofften, die Mauern oder der See böten ihnen Schutz.
    Fürst Bertaud hätte Jos wohl kaum mitgeschleppt, für welchen Zweck auch immer. Nur die Not des Augenblicks hatte Kairaithin gezwungen, sie alle zu versetzen, und damit hatte er sie hierhergeführt. Wenngleich das für Fürst Bertaud auch in Ordnung ging – für Jos war Tihannad kein Platz zum Leben.
    Seine Schritte wurden langsamer, und er blieb stehen. Unsicher blickte er zur zerklüfteten Landschaft aus Gestein und Eis hinauf, nach Osten und Norden, zurück zum Gebirgspass und seiner verlassenen Hütte. Das Feuer dort würde unaufhörlich weiterbrennen. Aber verstanden sich die Ziege und all die dummen Hühner auch darauf, ihren Weg von Bergwiese zu Bergwiese zu finden, am silbernen Band des namenlosen Flusses entlang, hinab in besseres Land und zu besseren Futtergründen?Die Ziege vielleicht, dachte er, aber vermutlich nicht die Hennen oder der eitle weiße Gockel.
    Er konnte jedoch nicht allein und zu Fuß wieder den schroffen Pass überqueren – und dies auch noch ohne jegliche Vorräte. Doch selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, so würde der Große Wall letztlich bersten und dann die Greifenschar über den Pass kommen. Er bezweifelte, dass diese Kreaturen irgendetwas verschonten, was sie unterwegs antrafen, ob nun Mensch, Ziege oder Vogel. Vermutlich rissen sie dann allein durch den feurigen Wind ihres Fluges jeden Stein vom anderen.
    Auch Kairaithin war stehen geblieben. Er folgte Jos’ Blick nach oben, nach Osten und Norden, aber seine Augen verrieten nichts, was ein Mensch hätte verstehen können. Jos fragte sich, was der Greifenmagier wohl sah. Nicht diese Berge und nicht irgendeine kleine verlassene Steinhütte. Eher Feuer und den Wall und den roten Staub, in dem der König der Greifen gerade ein klein wenig zu schnell vorgesprungen war …
    Jos betrachtete den Greifenmagier mit Sorge. Kairaithin schien nach dem kurzen erschreckenden Kampf am Wall sein emotionales Gleichgewicht nicht wiedererlangt zu haben – woraus auch immer sich das sonst zusammensetzte. Er wirkte benommen: vielleicht von seinem gescheiterten Versuch, Kes zu töten, oder von seiner Gewissheit, dass der Große Wall bersten würde. Oder wohl am ehesten von dem Wissen, dass der König der Greifen tot war und Kairaithin selbst ihn umgebracht hatte.
    Jos hatte erwartet, dass Kairaithin sie hier oberhalb Tihannads zurücklassen würde, nachdem er sie erst einmal hergebracht hatte; sie hätten sich dann selbst ihren Weg hinab zum See und in die Stadt suchen müssen. Er hatte angenommen, der Greifenmagier würde sich dann entfernen und irgendein verlassenes Stück Wüste aufsuchen, wo er dann vielleicht das Spektrum seiner verbliebenen Möglichkeiten bedachte odersich verfluchte oder sich seinen Sorgen hingab – oder was auch immer ein Greif angesichts eines persönlichen Verlustes möglicherweise tat. Jos konnte sich kaum vorstellen, was dies für einen Greifen bedeutete, aber er glaubte tatsächlich, dass Kairaithin den Tod des Königs als persönlichen Verlust empfand, der umso bitterer war aufgrund der Umstände, wie sich alles ereignet hatte.
    Stattdessen hatte der Greifenmagier die Männer über die Bergflanke bis zum See begleitet, als könnte er sich, dachte Jos, einfach nicht vorstellen, wohin er sich sonst wenden sollte. Wie er da stand, das Gesicht zu den hohen Bergen erhoben, die Miene verschlossen und reglos, wirkte er zum ersten Mal nicht nur abgespannt und müde, sondern auch alt.
    Unvermittelt warf Fürst Bertaud einen Blick über die Schulter und blaffte sie beide ungeduldig an: »Vorwärts!«
    Jos zuckte zusammen, allerdings mehr überrascht als erschrocken. Wohin sonst sollte er sich jedoch wenden? Er tat einen Schritt, um dem Fürsten aus Farabiand zu folgen.
    Zu seinem Erstaunen zuckte Kairaithin ebenfalls zusammen, senkte den Kopf und

Weitere Kostenlose Bücher