DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
Erleichterung kamen zwei zu ihm, um ihn zu befreien. Tan war nicht gänzlich überrascht, Geroen unter denen zu erkennen, die in seiner Nähe zurückblieben. Aber es verschlug ihm die Sprache, als er die schmale Gestalt Maianthes erblickte, die sich auf die Zehenspitzen stellte, damit sie dem Hauptmann über die Schulter schauen konnte.
»Könnt Ihr nicht stehen?«, knurrte Geroen, der jetzt herbeikam und Tan von Kopf bis Fuß musterte. »Euer Knie, nicht wahr? Sepes, nimm ihm die Kette vom Hals. Warum hat er noch die an den Händen? … Was meinst du damit, du hast keinen Schlüssel? Erde und Eisen! Wofür brauchst du einen Schlüssel? Hat dir nie jemand gezeigt, wie man Schlösser knackt?«
Tan blinzelte und fragte sich, ob er das richtig verstanden haben konnte. Aber dann brachte der Hauptmann mit größter Selbstverständlichkeit einen Satz Dietriche zum Vorschein und beugte sich vor, um sich die Ketten anzusehen. »Nicht diebeste Schmiedearbeit«, fuhr er einen Augenblick später fort und richtete sich auf, während sich die Handfesseln öffneten. Dann packte er Tan mit festem Griff am Arm, als dieser schwankte, und sagte: »Jetzt nicht! Hier, Keier, halt ihn aufrecht, ja, während ich mich um diese anderen Fesseln kümmere …« Er senkte sich grunzend auf ein Knie, um die Fußfesseln zu öffnen.
Tan klammerte sich an Keier fest, starrte jedoch Maianthe an, da er immer noch verblüfft darüber war, sie hier zu sehen. Wie die Männer trug sie schlichte, robuste Kleidung – Jungenkleidung, genau gesagt, die sehr praktisch war. Doch niemand hätte sie für einen Jungen halten können. Das Haar hing ihr in einem schweren Zopf bis auf den Rücken, und die zierlichen Knochen hätten nicht zu einem Jungen gepasst. Obwohl sie bewundernswert gefasst auftrat, hatte sie eindeutig Angst. Sie atmete schnell, war bleich und hatte die Fäuste geballt, wahrscheinlich um zu verstecken, dass ihr die Hände zitterten. Aber weder plapperte sie, noch fuhr sie bei jedem fernen Geräusch zusammen, was die beiden häufigsten Schwächen waren, die junge Männer bei ihren ersten Einsätzen auf feindlichem Gebiet zeigten. Vielmehr trat Maianthe vor und betrachtete neugierig das, was auf dem Tisch ausgebreitet lag. Einer der Männer, die auf sie achtgaben, packte sofort eine Fackel und spendete ihr höflich Licht. Sie nahm eine Schreibfeder zur Hand und zog die langen Federn durch die Finger. Dann klappte sie das Buch auf und sah hinein. Verwirrt zog sie die Brauen zusammen.
»Mit dem Bein kann er nicht laufen«, sagte Geroen zu einem seiner Männer, ohne auf Maianthes Interesse an den Gegenständen zu achten, die der Linulariner Spionagemeister zurückgelassen hatte. »Du und Sepes, ihr tragt ihn. Jetzt aber flott, oder denkt ihr vielleicht, wir hätten das ganze Jahr lang dafür Zeit?«
»Wartet …«, begann Tan und deutete mit dem Kopf zum Tisch.
»Still!«, herrschte Geroen ihn barsch an. »Wisst Ihr eigentlich, welche Schwierigkeiten Ihr verursacht habt? Ich gebe Euch einen kostenlosen Hinweis! Nicht annähernd so viel, wie wir haben werden, wenn man uns auf dieser Seite des Flusses erwischen sollte. Keier …«
»Tan, könnt Ihr …« Maianthe blickte besorgt zu ihm herüber und verstummte. Sie klappte das Buch wieder zu und steckte es in den zurückgebliebenen Ranzen.
Das ist richtig, fuhr es Tan durch den Kopf. Anschließend machte sie sich daran, die Tintenfläschchen und Schreibfedern ebenfalls einzusammeln. Die Instinkte eines Spions, dachte Tan – alles Sonderbare mitzunehmen und es später in Ruhe zu prüfen. Trotz der grausigen Umstände war er beinahe erheitert: Es freute ihn zu sehen, dass jemand die richtige Eingebung hatte, da Geroen offenkundig nicht auf diesen Gedanken gekommen war.
»Ich bin in Ordnung … in Ordnung«, versicherte Tan der jungen Frau. Er musste die Wörter jedoch zwischen den Zähnen hindurchpressen, da er sich gleichzeitig genötigt sah, ein Stöhnen zu unterdrücken, so sehr tat auch nur der Versuch weh, einen Schritt zu tun. Ein unbedachter Versuch. »Ihr habt dieses Buch und all diese Dinge sicher eingesteckt?«
»Ja …«
»Du und du.« Hauptmann Geroen deutete mit einem dicken Finger auf zwei seiner Männer. »Hebt ihn auf und schafft ihn nach draußen. Meine Dame, wenn Ihr so freundlich wärt – dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, sich die Zeit zu nehmen und … Habt ihr jemanden gefunden?« Die Frage war an einige seiner Männer gerichtet, die gerade aus den
Weitere Kostenlose Bücher